Inter* in der gesetzlichen Krankenversicherung

Von Dr. Oliver Tolmein (Rechtsanwalt, Hamburg)

Welche Rechte Menschen haben, die gesetzlich krankenversichert sind, richtet sich nach dem Sozialgesetzbuch V (SGB V).

Ein wichtiges Recht ist die „freie Arztwahl“[1]. Allerdings gibt es zwei wichtige Einschränkungen:

1. Es darf nur unter den Ärzt*innen gewählt werden, mit denen die Krankenkassen Verträge haben.[2] In Notfällen gilt diese Einschränkung aber nicht.

2. Ärzt*innen können nicht gezwungen werden, jemanden als Patient*in anzunehmen. Sollten sie überlastet sein oder erst in weiter Zukunft Sprechstundentermine anbieten, gibt es dagegen wenig effiziente Möglichkeiten, sich zu wehren.

Gelegentlich kommt es vor, dass bei medizinischen Maßnahmen bei intergeschlechtlichen Kindern und Erwachsenen die Krankenkassen den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) einschalten, der dann eine gutachtliche Stellungnahme ausarbeitet, mit der der geplante Eingriff bewilligt oder abgelehnt wird. Immer wieder kommt es vor, dass der MDK dann die Frage, ob die Patient*innen einen Anspruch auf die geplante Maßnahme haben, unter Heranziehung der „Begutachtungsanleitung Geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Transsexualität“ entscheidet – und zwar zumeist negativ, weil bestimmte Voraussetzungen (beispielsweise eine mehrmonatige Psychotherapie) nicht gegeben seien. 

Die gesetzliche Krankenkasse ist rechtlich wie eine Behörde anzusehen. Ihre Entscheidungen sind grundsätzlich Bescheide. Gegen diese hat jede*r Bürger*in das Recht, Widerspruch bei der Krankenkasse einzulegen. Wenn dem Widerspruch nicht stattgegeben wird, kann gegen den Widerspruchsbescheid Klage vor dem Sozialgericht erhoben werden. Wird die Klage abgewiesen, besteht die Möglichkeit, Berufung einzulegen. Wird diese zurückgewiesen, kann man zum Bundessozialgericht in die Revision gehen.

Lehnt die Krankenkasse einen Antrag auf Durchführung einer medizinischen Rehabilitation oder einer Behandlung ab, kann man das hinnehmen – oder sich wehren. Dafür kann man mit Rechtsanwält*innen zusammenarbeiten, sich von den großen Wohlfahrtsverbänden beraten oder unterstützen lassen oder auch alleine vor Gericht ziehen. Nur vor dem Bundessozialgericht braucht man zwingend Anwält*innen. Durch die Sozialgerichte werden in diesen Verfahren keine Gebühren erhoben – das gerichtliche Verfahren ist also kostenfrei.  Für die Kosten einer anwaltlichen Vertretung kann Prozesskostenhilfe (PKH) beim Gericht beantragt werden, wenn das eigene Einkommen niedrig ist.

Leistungen der Krankenkassen werden in der Regel unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit gewährt. Dies gilt auch für medizinische Leistungen, die einen geschlechtlichen Bezug haben, wie Krebsvorsorgeuntersuchungen der Brust oder der Prostata. Es gibt aber Ausnahmen, wie beispielsweise § 24i, der die Bezahlung von „Mutterschaftsgeld“ regelt – dies aber nur für „weibliche Mitglieder“. Damit folgt das SGB V dem BGB, das als Mutter eines Kindes nur „die Frau, die es geboren hat“ anerkennt. Eine intergeschlechtliche Person könnte demnach nur dann Mutterschaftsgeld beziehen, wenn ihr Personenstand „weiblich“ ist. Diese Umsetzung der Vorschrift verstößt nach Einschätzung des Autors allerdings gegen den Gleichbehandlungsanspruch aus Artikel 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Zudem stellt das Mutterschutzgesetz seit der letzten Reform in § 1 Abs. 4 klar: „Dieses Gesetz gilt für jede Person, die schwanger ist, ein Kind geboren hat oder stillt.“ Diese gesetzliche Klarstellung kann auch auf die Regelung des § 24i SGB V bezogen werden. Auch andere Vorschriften des Krankenversicherungsrechts dürfen nicht so ausgelegt und angewandt werden, dass sie intergeschlechtliche Menschen wegen ihres Geschlechts benachteiligen.

Rechtsprechung zu Ansprüchen von inter* Menschen gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es kaum. 2014 entschied das Bundessozialgericht, dass inter* Menschen, die eine Brustvergrößerung beantragen, um so einem als weiblich empfundenen Erscheinungsbild näher zu kommen, diesen Eingriff wie Trans*Frauen dann zu Lasten der Krankenkasse beanspruchen können, wenn durch die hormonelle Behandlung keine nennenswerte Brustentwicklung stattgefunden hat und lediglich Körbchengröße A vorliegt.[3]


[1] § 76 SGB V.

[2] Beispielsweise gibt es auch Ärzt*innen, die nur Privatpatient*innen annehmen. Auch bei Privatkliniken, die beispielsweise im Bereich der plastisch-chirurgischen Versorgung einen herausragenden Ruf haben, allerdings keinen Versorgungsvertrag mit gesetzlichen Krankenversicherungen haben, ist es für Kassenpatient*innen kaum möglich, dort eine Behandlung zu Lasten einer gesetzlichen Krankenversicherung durchführen zu lassen. Die Krankenkassen sind durch das Wirtschaftlichkeitsgebot in § 12 SGB V gebunden, nur die Leistungen zu erbringen, die „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sind.

[3]  BSG 1. Senat, 4.03.2014, Aktenzeichen: B 1 KR 69/12 R.