Trotz der Bemühungen von Selbstorganisationen und Aktivist*innen finden nach wie vor  Operationen an Genitalien von Kindern statt, die nicht den Erwartungen der Eltern oder Mediziner*innen entsprechen. Forschungsergebnisse zeigen, dass es im Zeitraum von 2005 bis 2016 insgesamt zu keinem Rückgang dieser Eingriffe kam.[1] Solche kosmetischen Operationen an nicht einwilligungsfähigen Kindern werden von Selbsthilfeorganisationen und der UN längst als Menschenrechtsverletzung eingestuft. Im Mai 2021 ist nun das vom Bundestag beschlossene „Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ in Kraft getreten. Das Gesetz folgte einem Referentenentwurf, der am 9. Januar 2020 an die Länder und einzelne Verbände zur Stellungnahme übersandt wurde und der der Umsetzung der Koalitationsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD diente, die gesetzlich klarstellen sollte, „dass geschlechtsangleichende medizinische Eingriffe an Kindern nur in unaufschiebbaren Fällen und zur Abwendung von Lebensgefahr zulässig sind“.[2] Im Mai 2021 wurde das Gesetz beschlossen, in dem es nun wörtlich heißt:

„(1) Die Personensorge umfasst nicht das Recht, in eine Behandlung eines nicht einwilligungsfähigen Kindes mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung einzuwilligen oder selbst diese Behandlung durchzuführen, die, ohne dass ein weiterer Grund für die Behandlung hinzutritt, allein in der Absicht erfolgt, das körperliche Erscheinungsbild des Kindes an das des männlichen oder des weiblichen Geschlechts anzugleichen“.

Zukünftig sind also diejenigen operativen Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern ausdrücklich verboten, für die es keine medizinische Indikation gibt, sondern die nur mit dem (kosmetischen) Ziel durchgeführt werden, das äußere Geschlecht des Kindes an eine männliche oder weibliche Norm anzugleichen. In Fällen von medizinisch notwendigen aber nicht unmittelbar lebensrettenden Operationen, in denen eine Entscheidung nicht bis zur eigenständigen Einwilligungsfähigkeit des Kindes aufgeschoben werden kann, können die Eltern über die Operation entscheiden, jedoch nur unter Einwilligung eines Familiengerichts. Das Gericht soll in diesen Fällen zukünftig auf Grundlage einer Stellungnahme einer interdisziplinären Kommission entscheiden, die unter anderem aus der das Kind behandelnden ärztlichen Person sowie einer Person mit kinder- und jugendpsychotherapeutischer Qualifikation besteht.

Wenn ein einwilligungsfähiges Kind einen Eingriff selbst wünscht, kann dieser ebenfalls durchgeführt werden. Die Abgrenzung des einwilligungsfähigen vom nicht einwilligungsfähigen Kind erfolgt wie allgemein bei medizinischen Behandlungen ohne Festlegung einer gesetzlichen Altersgrenze im konkreten Einzelfall auch unter Berücksichtigung des Entwicklungsstandes des Kindes bezüglich der Wahrnehmung und Reflektion seiner eigenen geschlechtlichen Identität und wird von den Eltern und dem Behandelnden festgestellt.

Das „Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ ist ein überfälliger und richtiger Schritt zum Schutz von intergeschlechtlichen Kindern, es bleibt jedoch noch abzuwarten, ob und in welcher Konsequenz es im Einzelfall tatsächlich Anwendung findet. Die Bundesregierung hat sich im Gesetz selbst verpflichtet, die Wirksamkeit der neuen Regelungen nach fünf Jahren zu überprüfen und dem Bundestag einen entsprechenden Evaluationsbericht vorzulegen. 


[1] Hoenes, Josch; Januschke, Eugen; Klöppel, Ulrike (2019): Häufigkeit normangleichender Operationen „uneindeutiger“ Genitalien im Kindesalter. Follow Up-Studie. Berlin: Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien.

[2] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode (2018). S. 21, 797-799.

Mit der Einführung des Personenstands „divers“ sind konkrete Maßnahmen der Antidiskriminierung von inter* Personen auch im Arbeits- und Berufsleben rechtlich geboten. In der Umsetzung von diskriminierungssensiblen Strategien fehlt es dabei jedoch häufig (noch) an konkreten Handlungsempfehlungen und entsprechender Unterstützung bei der praktischen Einführung. Unterstützung könnte etwa in Form von Sprachvorlagen für geschlechtsneutrale E-Mail-Anreden oder Vorschläge für den Umgang mit bisher geschlechtlich getrennter Dienstkleidung geboten werden. Zusätzlich herrscht große Rechtsunsicherheit, wie sich der Personenstand auch auf bisher binär verfahrende rechtliche Regelungen wie zum Beispiel auf den „Mutterschutz“ oder auch auf Formen der sogenannten positiven Diskriminierung etwa durch eine „Frauenquote“ auswirkt.

Die Landeskoordination Inter* NRW hat in Kooperation mit der Landeskoordination Inter* Niedersachsen eine Checkliste für den Arbeitsalltag erstellt.


Die Publikation hat dem Titel “Divers” und jetzt?!. Darin werden Grundlagen zu Intergeschlechtlichkeit, der rechtlichen Lage sowie hilfreiche Tipps vermittelt, wie ein Bewerbungsverfahren und die Zeit während der Beschäftigung inklusiver für inter* Menschen gestaltet werden können.

Die Checkliste kann ab sofort heruntergeladen und über die LaKo Inter* bestellt werden.

Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat 2020 zwei Studien veröffentlicht, die umfangreich über das Thema Inter* im Arbeits- und Berufsleben informieren, Problemfelder identifizieren und konkrete Handlungsempfehlungen formulieren.

„Geschlechterdiversität in Beschäftigung und Beruf – Bedarfe und Umsetzungsmöglichkeiten von Antidiskriminierung für Arbeitgeber_innen“ (2020)

Diese Publikation richtet sich explizit an Arbeitgeber*innen und vermittelt konkrete Handlungsempfehlungen, wie der Arbeitsplatz möglichst diskriminierungssensibel gestaltet werden kann.Die Studie identifiziert auf Grundlage des gegenwärtigen Forschungsstandes und anhand von Expert*innen-Interviews verschiedene Handlungsbereiche zur Antidiskriminierung von intergeschlechtlichen Menschen im Berufsleben und zeigt dann konkrete Möglichkeiten zur Umsetzung für Arbeitgeber*innen auf. In insgesamt 26 Bausteinen zu den Themenfeldern Betriebskultur, Personalgewinnung, Umgang mit geschlechtsbezogenen Daten, Sprache und Kommunikation, Sanitäranlagen sowie Körper, Kleidung und Gesundheit werden praktische Handlungsempfehlungen für die Berufspraxis formuliert, die die Anerkennung und Implementierung geschlechtlicher Vielfalt im Arbeitsleben ermöglichen sollen. Zusätzlich verweist die Publikation auf bundesweite Beratungsstellen und weitere Ressourcen wie etwa Sprachleitfäden und zusätzliches Infomaterial zur Aufklärung und Sensibilisierung. Hier können Sie die Studie bestellen oder als PDF-Datei herunterladen.

„Jenseits von männlich und weiblich – Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung im Arbeitsrecht und öffentlichen Dienstrecht des Bundes“ (2020)

Diese zweite Publikation unter dem Titel klärt über die rechtlichen Konsequenzen des Personenstandes in Hinblick auf Arbeitsreicht und Recht des öffentlichen Dienstes auf. Da beide Rechtsgebiete bisher einem binären Geschlechtsmodell folgen, wird in der Studie herausgearbeitet, welche Bereiche des Rechts auch für intergeschlechtliche Menschen mit einem diversen Geschlechtseintrag anwendbar sind und in welchen Bereichen die Gesetzgebung zukünftig noch Klarstellung schaffen muss. Hierzu wird der konkrete Anpassungsbedarf verschiedener Vorschriften benannt, für die Geschlecht als Tatbestandsmerkmal von Relevanz ist (wie z.B. Regelungen zum „Mutterschutz“). Berücksichtigt wird in der Analyse nicht nur das deutsche Verfassungsrecht, sondern auch das Recht der Europäischen Union, das in Bezug auf geschlechtsbezogene Diskriminierung am Arbeitsplatz eine zentrale Rolle einnimmt. Hier können Sie die Studie bestellen oder als PDF-Datei herunterladen.

Auch das Institut für Diversity- und Antidiskriminierungsforschung (IDA) hat zwei Studien zum Thema inter* am Arbeitsplatz veröffentlicht.

„Inter* im Office?! – Die Arbeitssituation von inter* Personen in Deutschland unter differenzieller Perspektive zu (endo*) LSBT*Q+ Personen“ (2020)

Diese Studie hatte die Zielsetzung, die Arbeitssituation von inter* Personen zu untersuchen und mit den Erfahrungen von endogeschlechtlichen LSBT-Personen zu vergleichen. Dazu wurden 32 inter* Beschäftigte und 1223 endo* LSBT-Beschäftigte zu ihrer Arbeitssituation und Diskriminierungserfahrungen am Arbeitsplatz befragt. Zentrale Ergebnisse der Studie sind etwa, dass alle befragten Gruppen nach wie vor mit Feindlichkeit und Diskriminierung am Arbeitsplatz konfrontiert sind. Die Diskriminierung fiel jedoch bei inter* Personen und trans* und/oder nicht-binären Personen, die (eher) als abweichend von einer binären Geschlechternorm gelesen werden, noch stärker aus. Hier können Sie die Studie bestellen oder als PDF-Datei herunterladen.

„Out im Office! Out vor Kunden_innen“ (2021)

In dieser Studie wurde noch spezifischer nach dem Umgang von LSBTI-Personen mit der eigenen sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität im Kund*innen-Kontakt am Arbeitsplatz gefragt. Dazu wurden 1012 LSBTI-Personen, davon 25 inter* Personen, zu ihren Erfahrungen im Umgang mit Kund*innen befragt. Zentrale Ergebnisse der Studie sind, dass ein offener Umgang mit der eigenen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität im Kund*innen-Kontakt von den Befragten seltener gepflegt wird als etwa im Kontakt mit Kolleg*innen oder Vorgesetzten und dass zwischen einem Fünftel und einem Drittel der Befragten angaben, bereits Diskriminierungserfahrung im Umgang mit Kund*innen gemacht zu haben. Hier können Sie die Studie bestellen oder als PDF-Datei herunterladen.

LaKo Inter* NRW

Die Landeskoordination Inter* (Lako Inter*) wird seit April 2021 als zweijähriges Pilotprojekt vom Land Nordrhein-Westfalen gefördert. Die Lako Inter* arbeitet als landesweite Fachstelle in Trägerschaft des Queeren Netzwerks NRW e. V. zur Unterstützung der Gruppen und Angebote von und für inter* Menschen in Nordrhein-Westfalen.

Das geschieht durch Vernetzung und Workshop-Angebote für inter* Menschen und weitere Interessierte. Der Aufbau von entsprechenden Selbsthilfegruppen und von Inter* Beratung in Kooperation mit Beratungsstellen wird fachlich unterstützt und von einer Steuerungsgruppe aus der inter* Community begleitet. Wissensvermittlung zum Thema Intergeschlechtlichkeit zur Stärkung der Sichtbarkeit von und Bildungsangeboten zu inter* Themen in der breiten Öffentlichkeit sind ebenfalls wichtige Themen und Aufgabe der Lako Inter*.
Die Landeskoordination mit Sitz in Köln in den Räumen des Queeren Netzwerk NRW e.V. ist gegenwärtig mit Lou Martin besetzt.

Kontakt:
E-Mail: lako-inter@queeres-netzwerk.nrw
Telefon: +49 (0)221 – 35 65 65 70

Beratungsangebote

Eine niedergelassene Inter* Beratungsstelle gibt es in NRW derzeit nicht. Der Verein Intergeschlechtliche Menschen e.V. bietet allerdings aufsuchende Peer-Beratung an. Peer-Beratung bedeutet – kurz gesagt – Gleiche beraten Gleiche, das heißt, die Berater*innen sind selbst intergeschlechtlich oder sind Eltern eines intergeschlechtlichen Kindes. Sie sprechen aus eigener Erfahrung und können Sie auf Augenhöhe beraten.

Hier können Sie sich näher über das Angebot der Peer-Beratung informieren:

Verein Intergeschlechtliche Menschen e.V.  http://www.im-ev.de/
NRW-Landesverbandhttp://nrw.im-ev.de/

In NRW gibt es zudem die Familienselbsthilfegruppe Lila NRW, die sich regelmäßig in Köln trifft. Nähere Informationen dazu können Sie hier erfragen: E-Mail.

Auch auf der Website der Selbsthilfegruppe für Eltern und Familienangehörige intergeschlechtlicher Menschen gibt es Informationen zu persönlichen Treffen, zu Literatur und zu verschiedenen Themengebieten, rund um Intergeschlechtlichkeit. 

Mediziner*innen können zudem zu körperbezogenen Fragen beraten. Die Erfahrungen sind dabei sehr unterschiedlich. Wichtig ist, dass Sie sich gut beraten und wohl fühlen. Fragen Sie bei den Selbstorganisationen nach Erfahrungsberichten und suchen Sie sich eine*n Ärzt*in, der*dem Sie vertrauen.

Beratungsstellen, die sensibel für die Belange von intergeschlechtlichen Menschen sind, sind zudem:

Bochum (Rosa Strippe)

Die Rosa Strippe berät inter* Personen und deren Angehörige im Rahmen einer Erst- oder Clearingberatung. Dafür steht den Mitarbeitenden ein recherchierter Infopool mit Ansprechpersonen z. B. aus der Selbstorganisation oder dem Gesundheitswesen zur Verfügung. Die Rosa Strippe berät parteilich hinsichtlich des Schutzes und der Unversehrtheit von intergeschlechtlichen Kindern, Jugendlichen sowie Erwachsenen, affirmativ in Bezug auf geschlechtliche Vielfalt und mit Blick auf das Kindeswohl.

Köln (rubicon e.V.)

Im Rahmen der psychosozialen Beratung zu sexueller Orientierung, zur Gründung von Regenbogenfamilien und zu geschlechtlicher Selbstbestimmung berät rubicon e.V. auch intergeschlechtliche Menschen. Rubicon e.V. bietet keine Spezialberatung zu Inter* und übernimmt hier eher eine Lotsenfunktion und verweist z.B. an die Peer-Beratung des Vereins Intersexuelle Menschen e.V. Diese Weiterverweisung an die Peer-Beratung gilt insbesondere für inter* Personen in Coming-Out-Situationen sowie für Eltern von intergeschlechtlichen Kindern, die dort u. a. sehr viele Antworten auf medizinische Fragen erhalten können.

Münster (pro familia)

pro familia Münster berät inter* Personen, ihre Partner*innen, Familien und Freund*innen kompetent, einfühlsam und vertrauensvoll. Die Themen der Beratung können sein: Identität und Selbstbeschreibung; Körper, Coming Out, Beziehungen, Lokale Angebote, Diskriminierungserfahrungen, Sexualität, (unerfüllter) Kinderwunsch, Elternschaft von inter* Kindern.

Einige Beratungsstellen von pro familia in NRW:

pro familia Bielefeld

pro familia Köln-Zentrum

pro familia Mettmann

pro familia Oberhausen

pro familia Remscheid

pro familia Sankt Augustin

pro familia Witten

Weitere Informationen und (bundesweite) Angebote von Selbstorganisationen finden Sie hier: 

Diagnosespezifische Selbstorganisationenhttp://www.klinefelter.de/cms/
http://www.47xxy-klinefelter.de/
https://www.ags-initiative.de/
http://turner-syndrom.de/
OII (Organisation Intersex International)  https://oiigermany.org/
Antidiskriminierungsarbeit & Empowerment für Inter* https://interprojekt.wordpress.com/
Kampagne für eine Dritte Optionhttp://dritte-option.de/
DGTI (Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V.)https://www.dgti.org/

Es gibt außerdem einen von Wissenschaftler*innen aus Hamburg betriebenen Blog zum Thema Inter*, in dem Hinweise auf Literatur, Veranstaltungen oder auch Informationen zu geschlechtlicher Vielfalt zu finden sind: Blog Intersex kontrovers.

Auch die Vereinten Nationen (englisch “United Nations“) haben sich mit dem Thema Inter* befasst und eine Kampagne für mehr Aufklärung erstellt. Hier finden sich Videos, Stimmen von intergeschlechtlichen Menschen und Info-Blätter mit Fakten (“Fact Sheets“): Free & Equal (Intersex Awareness von den United Nations). (Englisch)

Angebote für inter* Jugendliche in NRW

Für inter* Jugendliche kann auch ein queerer Jugendtreff interessant sein. Mehr Informationen zu den Treffs in NRW finden Sie auf der Seite der Queeren Jugend NRW. Hier finden Sie auch Hinweise darauf, ob Belange von intergeschlechtlichen Jugendlichen mitgedacht und adressiert werden. Die Queere Jugend hat zudem eine Handreichung unter dem Titel „Superheld*innen gesucht: Empowerment für inter* Jugendliche. Eine Übersicht über Anlaufstellen und Beratungsangebote für intergeschlechtliche Jugendliche in NRW“ erstellt, die Sie hier abrufen oder über info@queere-jugendfachstelle.nrw bestellen können

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Mit Unterstützung von Andreas Hechler

Intergeschlechtliche Menschen sieht man bisher wenig im öffentlichen Raum. Auch in Serien, Büchern oder im Fernsehen sind sie wenig repräsentiert.

Wir wollen hier ein paar Stimmen von intergeschlechtlichen Menschen und ihren Angehörigen sammeln, die verschiedene Facetten ihres Lebens mit uns teilen.

Es gibt im Internet einige Videos, Beiträge oder Projekte zum Thema Intergeschlechtlichkeit. Hier haben wir ein paar davon gesammelt:

OII Europe (Organisation Intersex International, Europe) haben unter #MY INTERSEX STORY Geschichten von inter* Menschen aus ganz Europa versammelt. Auf der Projektseite finden sich Videos und Informationen zum Projekt. Im Buch erzählen inter* Menschen aus ganz Europa ihre Geschichten. (Webseite und Geschichten sind auf Englisch)

Das 2012 gegründete Interfaceproject porträtiert intergeschlechtliche Personen in ihren verschiedenen Lebensrealitäten. Die Personen stellen sich in kurzen Videos selbst vor und berichten aus ihren Leben, zu jedem Video gibt es außerdem ein Transkript.

Die Sendung Auf Klo vom öffentlich-rechtlichen Jugendsender funk hat in einer Folge Audrey aus der Schweiz zu Gast. Audrey berichtet unter anderem von den medizinischen Eingriffen, die sie als Kind und Jugendliche erlebt hat:

(Die Videos sind auf Deutsch, Französisch oder Englisch. Meist auch mit deutschen Untertiteln.)

Weitere Videos von Audrey finden Sie auf ihrem Youtube Kanal (Audr XY). (Die Videos sind auf Deutsch, Französisch oder Englisch, meist auch mit deutschen Untertiteln)

Auf der medienpädagogischen Seite Planet Schule finden Sie ein Video, in dem Lynn aus Berlin berichtet, wie es ist, intergeschlechtlich zu sein.

Der YouTube Kanal von OII Europe präsentiert ein Video mit dem Titel „My intersex Story“:

(Englisch mit deutschen Untertiteln.)

Vom WDR gibt es außerdem einen Beitrag, in dem eine Mutter zu ihren Erfahrungen mit der Intergeschlechtlichkeit ihres Kindes interviewt wird. Auch in der EMMA findet sich ein Text einer Mutter. Hier erzählt J.M. Pulvermüller wie es ist ein intergeschlechtliches Kind zu haben.

Ted Talk von Emily Quinn – Wie wir über das biologische Geschlecht denken ist falsch. (Englisch mit deutschen Untertiteln.)
Emily Quinn ist Autorin, Grafikerin und Aktivistin bei InterAct.

Die Bücher Inter*Trans*Express und Identitätskrise 2.0 sind eine Sammlung von Kurzgeschichten, Gedichten und Zeichnungen von Alltag und Widerstand als „Genderoutlaw“. Beide Bücher beschreiben persönliche Erfahrungen und machen damit Inter* Perspektiven sichtbar. Hier finden Sie exklusiv Auszüge aus beiden Büchern.

Weiteres Material von intergeschlechtlichen Menschen:

Bücher und Webseiten

Sammelband mit kurzen, persönlichen Geschichten von intergeschlechtlichen Menschen aus der ganzen Welt.

  • Inter – Erfahrungen intergeschlechtlicher Menschen in der Welt der zwei Geschlechter. Von Elisa Barth u.a. (2017/2013): Berlin: NoNo Verlag / Münster: edition assemblage.

Kurzgeschichten, Gedichte und Zeichnungen einer intergeschlechtlichen Person:

  • Identitätskrise 2.0 oder eine Analyse meiner linken DNA. Von Ika Elvau (2019). Münster: edition assemblage.
  • Inter*Trans*Express* – eine Reise an und über Geschlechtergrenzen. Von Ika Elvau (2014): Münster: edition assemblage.

Portale und Webseiten auf denen inter* Personen von sich erzählen:

Webseiten und Broschüren wo man sich weiter zu Inter* informieren kann:

  • Regenbogenportal – Das Wissensnetz zu gleichgeschlechtlichen Lebensweisen und geschlechtlicher Vielfalt. Viele lesenswerte Texte, auch zum Thema Intergeschlechtlichkeit des BMFSFJ.
  • Inter* und Sprache. Eine Broschüre des Antidiskriminierungsprojekts von TransInterQueer.
  • Wenn Sie das Thema Akzeptanz und Vielfalt weiter fördern möchten, finden Sie in der Broschüre Akzeptanz für Vielfalt viele Anregungen für Kinderbücher.

Videoclips

Empfohlene Filme/Dokumentation:

Comics und Graphic Novels

Von Dr. Oliver Tolmein (Rechtsanwalt, Hamburg)

Intergeschlechtlichkeit ist keine Krankheit. Dennoch haben intergeschlechtliche Menschen oftmals engen und langjährigen Kontakt mit Ärzt*innen. Dies liegt zum Teil an Folgeerscheinungen von Operationen oder auch an Vor- oder Nachsorgeterminen.

Seit Juli 2016 gibt es nun eine S2k-Leitlinie für Mediziner*innen zu Intergeschlechtlichkeit, welche sich „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ nennt. An dieser Leitlinie haben neben vielen Ärzt*innen auch Elternverbände und intergeschlechtliche Menschen selbst mitgearbeitet. Behandlungsleitlinien sind wichtig für Mediziner*innen, sie sind aber nicht verbindlich. Niemand muss sich an sie halten. Allerdings müssen Abweichungen von den Standards der Leitlinie im Haftungsfall von den Ärzt*innen gut begründet werden.

Für die medizinische Behandlung und ihre Dokumentation gelten grundlegende Regeln:

  1. Eine medizinische Behandlung erfordert die Einwilligung der Patient*innen.[1] Eine Einwilligung ist nur wirksam, wenn die*der Patient*in zuvor umfassend über die wesentlichen Umstände der Behandlung aufgeklärt worden ist.[2]
  2. Wenn ein*e Patient*in selbst nicht einwilligen kann, zum Beispiel, weil es sich um ein Kleinkind handelt, kann der Eingriff unzulässig sein. Das gilt insbesondere bei irreversiblen geschlechtszuweisenden Eingriffen. In der Behandlungsleitlinie heißt es dazu in „Empfehlung 31“: „Die Indikation zu operativen Eingriffen beim nicht-einwilligungsfähigen Kind soll immer restriktiv gestellt werden. Die Sorgeberechtigten können nur für solche Eingriffe beim nicht einwilligungsfähigen Kind einwilligen, die einer medizinischen Indikation unterliegen und nachfolgenden Schaden vom Kind abwenden.“[3]
  3. Auch ein*e Patient*in, für die eine Vertreter*in entscheidet, muss von den Behandelnden aufgeklärt werden[4], das ist insbesondere bei Kindern wichtig, die noch nicht einwilligungsfähig sind, sich aber sprachlich verständigen können. Das ist auch deswegen wichtig, weil es deutlich macht, dass die betroffenen Menschen ein Recht darauf haben, zu erfahren, warum sie behandelt werden und was genau mit ihnen gemacht werden soll.
  4. Es gibt kein festes Alter, ab dem Kinder einwilligungsfähig sind oder bis zu dem sie nicht einwilligungsfähig sind. Es können durchaus Kinder für bestimmte Eingriffe einwilligungsfähig sein. Dann ist ihre Einwilligung auch Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Behandlung.
  5. Die Patient*innen haben ein Recht darauf Einsicht, in ihre Behandlungsakte zu nehmen. Diese muss von den Krankenhäusern und Ärzten allerdings nur 10 Jahre lang aufbewahrt werden.[5]
  6. Wenn Ärzt*innen Behandlungen durchführen, obwohl sie nicht ordnungsgemäß über alle Aspekte der Behandlung aufgeklärt haben oder wenn sie dabei unzutreffende Aussagen gemacht haben, kann die Einwilligung unwirksam sein. Eine ohne Einwilligung durchgeführte Behandlung ist mindestens eine Körperverletzung. Eine Körperverletzung ist in der Regel strafbar[6], sie löst meistens auch Schadenersatzansprüche aus.[7]

Im Verhältnis Ärzt*in und Patient*innen spielen noch andere, wichtige Fragen eine Rolle. Von großer Bedeutung ist die Schweigepflicht, der Ärzt*innen unterliegen. Geschützt wird durch die Schweigepflicht die persönliche Sphäre der Patient*innen. Es gibt dabei manchmal auch schwierige Situationen – beispielsweise, wenn nicht volljährige Patient*innen möchten, dass Gespräche zwischen Ärzt*in und ihnen vor den Eltern geheim gehalten werden. Die Rechtslage hängt hier sehr vom Einzelfall ab. Grundsätzlich gilt die Schweigepflicht aber auch hier. Ausnahmen kann es geben, wenn die Ärzt*innen durch den Bruch der Schweigepflicht versuchen, ein hohes Rechtsgut zu schützen, beispielsweise das Leben eines*einer Patient*in, von der*dem angenommen wird, dass diese Person suizidal. Die Schweigepflicht gilt aber immer nur gegenüber Dritten, nie gegenüber den Patient*innen. Patient*innen haben immer das Recht darauf zu erfahren, weswegen sie behandelt werden und wie Behandlung und Erkrankung voraussichtlich verlaufen werden.[8]


[1] § 630 d BGB.

[2] § 630e BGB.

[3] Vgl. dazu auch den Text von Oliver Tolmein „Chirurgische Eingriffe am Genital nicht einwilligungsfähiger intersexueller Kinder und der Schutz der geschlechtlichen Identität“ in MedStra, Zeitschrift für Medizinstrafrecht, Nr. 3/2019.

[4] § 630e Abs. 5 BGB.

[5] § 630f Abs. 3 BGB, § 630g Abs. 1 BGB.

[6] § 223 StGB.

[7] Bisher sind zwei Klagen vor Gericht verhandelt worden. In beiden Fällen bekamen die Kläger*innen Recht.

[8] § 630c Abs. 2 BGB.

Von Dr. Oliver Tolmein (Rechtsanwalt, Hamburg)

Welche Rechte Menschen haben, die gesetzlich krankenversichert sind, richtet sich nach dem Sozialgesetzbuch V (SGB V).

Ein wichtiges Recht ist die „freie Arztwahl“[1]. Allerdings gibt es zwei wichtige Einschränkungen:

1. Es darf nur unter den Ärzt*innen gewählt werden, mit denen die Krankenkassen Verträge haben.[2] In Notfällen gilt diese Einschränkung aber nicht.

2. Ärzt*innen können nicht gezwungen werden, jemanden als Patient*in anzunehmen. Sollten sie überlastet sein oder erst in weiter Zukunft Sprechstundentermine anbieten, gibt es dagegen wenig effiziente Möglichkeiten, sich zu wehren.

Gelegentlich kommt es vor, dass bei medizinischen Maßnahmen bei intergeschlechtlichen Kindern und Erwachsenen die Krankenkassen den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) einschalten, der dann eine gutachtliche Stellungnahme ausarbeitet, mit der der geplante Eingriff bewilligt oder abgelehnt wird. Immer wieder kommt es vor, dass der MDK dann die Frage, ob die Patient*innen einen Anspruch auf die geplante Maßnahme haben, unter Heranziehung der „Begutachtungsanleitung Geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Transsexualität“ entscheidet – und zwar zumeist negativ, weil bestimmte Voraussetzungen (beispielsweise eine mehrmonatige Psychotherapie) nicht gegeben seien. 

Die gesetzliche Krankenkasse ist rechtlich wie eine Behörde anzusehen. Ihre Entscheidungen sind grundsätzlich Bescheide. Gegen diese hat jede*r Bürger*in das Recht, Widerspruch bei der Krankenkasse einzulegen. Wenn dem Widerspruch nicht stattgegeben wird, kann gegen den Widerspruchsbescheid Klage vor dem Sozialgericht erhoben werden. Wird die Klage abgewiesen, besteht die Möglichkeit, Berufung einzulegen. Wird diese zurückgewiesen, kann man zum Bundessozialgericht in die Revision gehen.

Lehnt die Krankenkasse einen Antrag auf Durchführung einer medizinischen Rehabilitation oder einer Behandlung ab, kann man das hinnehmen – oder sich wehren. Dafür kann man mit Rechtsanwält*innen zusammenarbeiten, sich von den großen Wohlfahrtsverbänden beraten oder unterstützen lassen oder auch alleine vor Gericht ziehen. Nur vor dem Bundessozialgericht braucht man zwingend Anwält*innen. Durch die Sozialgerichte werden in diesen Verfahren keine Gebühren erhoben – das gerichtliche Verfahren ist also kostenfrei.  Für die Kosten einer anwaltlichen Vertretung kann Prozesskostenhilfe (PKH) beim Gericht beantragt werden, wenn das eigene Einkommen niedrig ist.

Leistungen der Krankenkassen werden in der Regel unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit gewährt. Dies gilt auch für medizinische Leistungen, die einen geschlechtlichen Bezug haben, wie Krebsvorsorgeuntersuchungen der Brust oder der Prostata. Es gibt aber Ausnahmen, wie beispielsweise § 24i, der die Bezahlung von „Mutterschaftsgeld“ regelt – dies aber nur für „weibliche Mitglieder“. Damit folgt das SGB V dem BGB, das als Mutter eines Kindes nur „die Frau, die es geboren hat“ anerkennt. Eine intergeschlechtliche Person könnte demnach nur dann Mutterschaftsgeld beziehen, wenn ihr Personenstand „weiblich“ ist. Diese Umsetzung der Vorschrift verstößt nach Einschätzung des Autors allerdings gegen den Gleichbehandlungsanspruch aus Artikel 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Zudem stellt das Mutterschutzgesetz seit der letzten Reform in § 1 Abs. 4 klar: „Dieses Gesetz gilt für jede Person, die schwanger ist, ein Kind geboren hat oder stillt.“ Diese gesetzliche Klarstellung kann auch auf die Regelung des § 24i SGB V bezogen werden. Auch andere Vorschriften des Krankenversicherungsrechts dürfen nicht so ausgelegt und angewandt werden, dass sie intergeschlechtliche Menschen wegen ihres Geschlechts benachteiligen.

Rechtsprechung zu Ansprüchen von inter* Menschen gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es kaum. 2014 entschied das Bundessozialgericht, dass inter* Menschen, die eine Brustvergrößerung beantragen, um so einem als weiblich empfundenen Erscheinungsbild näher zu kommen, diesen Eingriff wie Trans*Frauen dann zu Lasten der Krankenkasse beanspruchen können, wenn durch die hormonelle Behandlung keine nennenswerte Brustentwicklung stattgefunden hat und lediglich Körbchengröße A vorliegt.[3]


[1] § 76 SGB V.

[2] Beispielsweise gibt es auch Ärzt*innen, die nur Privatpatient*innen annehmen. Auch bei Privatkliniken, die beispielsweise im Bereich der plastisch-chirurgischen Versorgung einen herausragenden Ruf haben, allerdings keinen Versorgungsvertrag mit gesetzlichen Krankenversicherungen haben, ist es für Kassenpatient*innen kaum möglich, dort eine Behandlung zu Lasten einer gesetzlichen Krankenversicherung durchführen zu lassen. Die Krankenkassen sind durch das Wirtschaftlichkeitsgebot in § 12 SGB V gebunden, nur die Leistungen zu erbringen, die „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sind.

[3]  BSG 1. Senat, 4.03.2014, Aktenzeichen: B 1 KR 69/12 R.

Von Katrin Niedenthal (Rechtsanwältin, Bielefeld)

In Deutschland gibt es den Sammelbegriff Personenstand. Damit sind alle Daten über Geburt, Eheschließung (Lebenspartnerschaft) und Tod und damit in Verbindung stehende familien- und namensrechtliche Daten gemeint. Zur Erfassung des Personenstandes gibt es verschiedene Register, z. B. das Geburts-, Ehe- und Sterberegister.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Beschluss vom 10.10.2017 festgestellt, dass der Geschlechtseintrag einer Person eine identitätsstiftende und -ausdrückende Wirkung hat. Aus diesem Grund ist auch die personenstandsrechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität von intergeschlechtlichen Menschen grundrechtlich geschützt.

Bei Geburt

Eltern müssen nach der Geburt eines Kindes innerhalb von einer Woche[1] bei dem Standesamt verschiedene Angaben machen und dabei auch das Geschlecht des Kindes angeben.[2] Diese Daten werden dann in das Geburtenregister eingetragen. Das Standesamt stellt danach die Geburtsurkunde aus.

Wenn das Kind weder dem „weiblichen“ noch dem „männlichen“ Geschlecht zugeordnet werden kann, kann der Geschlechtseintrag offen gelassen oder die Geschlechtsbezeichnung „divers“ eingetragen werden.[3]

Leider wissen nach wie vor viele Menschen nicht, dass es die Möglichkeit gibt, den Geschlechtseintrag offen zu lassen oder „divers“ eintragen zu lassen. Eltern fühlen sich häufig unter Druck gesetzt, gleich nach der Geburt „männlich“ oder „weiblich“ als Geschlechtsangabe des Kindes eintragen und/oder sogar geschlechtsverändernde Operationen an ihren intergeschlechtlichen Kindern durchführen zu lassen.

Da medizinisch nicht notwendige Operationen, die ohne die Einwilligung der betreffenden Person durchgeführt werden, als Menschenrechtsverletzung anerkannt sind, wird momentan in Deutschland über ein explizites Verbot dieser Operationen an Kindern diskutiert.

Änderung des Geschlechtseintrages

Es gibt die Möglichkeit, den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister nachträglich berichtigen zu lassen.[4]

Hierfür muss gegenüber des Standesamtes des Geburtsorts nach § 45b PStG erklärt werden, welcher Eintrag („divers“, Offenlassen des Eintrags, „weiblich“, „männlich“) zukünftig gewünscht wird. Mit der Erklärung kann außerdem ein neuer Vorname bestimmt werden bzw. der bisherige Vorname ergänzt werden. [5] Sogenannte geschlechtsneutrale Vornamen sind für alle Personen zulässig. Bei Personen mit einem Eintrag als „divers“ oder ohne eine Eintragung der Geschlechtszugehörigkeit ist jedoch auch eine Kombination aus männlich und weiblich konnotierten Vornamen möglich.

Soll nur der Vorname geändert werden, sollte eine Rücksprache mit dem zuständigen Standesamt vorgenommen werden. Gegebenenfalls muss ein Antrag nach dem Namensänderungsgesetz (NamÄndG) gestellt werden.

Für ein Kind bis 14 Jahre können nur die gesetzlichen Vertreter*innen die Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrages und des Vornamens abgeben. Jugendliche, die älter als 14 Jahre sind, müssen diese Erklärung selbst abgeben, benötigen hierzu aber die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter*innen (also zumeist der Eltern), solange sie noch nicht volljährig sind. Sollten die gesetzlichen Vertreter*innen dieser Erklärung nicht zustimmen, wird die Zustimmung durch eine Entscheidung des Familiengerichts ersetzt, wenn die Änderung der Angabe zum Geschlecht oder der Vornamen dem Kindeswohl nicht widerspricht. Die*der Jugendliche muss sich nicht selber an das Familiengericht wenden. Das Standesamt ist nach § 168a Abs. 1 FamFG verpflichtet, das Familiengericht zu informieren. Mehr zu den Rechten von Minderjährigen finden Sie hier.

Die Erklärung gem. § 45b PStG muss öffentlich beglaubigt werden, dies kann jedes Standesamt (auch das am Wohnort) oder ein*e Notar*in tun. Falls die Erklärung bei einem*r Notar*in oder beim Wohnort-Standesamt abgegeben und beglaubigt wurde, muss diese an das Standesamt des Geburtsortes weitergeleitet werden. Dieses ist für die Änderung des Geburtenregisters zuständig.

Welches Standesamt für Personen zuständig ist, deren Geburtsort außerhalb von Deutschland liegt, ergibt sich aus § 45b Abs. 4 PStG.

Das zuständige Standesamt fordert außerdem die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung, aus der hervorgeht, dass „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ vorliegen. Dabei reicht eine einfache Bescheinigung und es soll keine Diagnose genannt werden. Es ist ausreichend, wenn ärztlicherseits bescheinigt wird: „Hiermit bestätige ich, dass Varianten der Geschlechtsentwicklung vorliegen.“ Wenn man über ärztliche Unterlagen verfügt, aus denen sich eine entsprechende Diagnose ergibt, können auch diese Unterlagen vorgelegt werden, sodass kein erneuter Besuch bei Ärzt*innen für die Ausstellung einer Bescheinigung notwendig ist. Da den Standesämtern jedoch in vielen Fällen die notwendige Fachkompetenz fehlt, um zu erkennen, ob sich aus den vorgelegten ärztlichen Unterlagen eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ ergibt, ist die Vorlage einer expliziten Bescheinigung über das Vorliegen von „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ zu empfehlen.

Dass „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ vorliegen, kann man auch selbst durch die Abgabe einer Erklärung an Eides statt versichern. Dies ist aber nur dann vorgesehen, wenn das Vorliegen von „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ wegen einer Behandlung nicht mehr oder nur durch eine unzumutbare Untersuchung nachgewiesen und keine ärztliche Bescheinigung über eine bereits erfolgte medizinische Behandlung vorgelegt werden kann.

Liegen die Voraussetzungen (beglaubigte Erklärung und Vorlage der ärztlichen Bescheinigung bzw. der eidesstattlichen Versicherung) vor, ändert das Standesamt den Personenstandseintrag. Man kann gleichzeitig auch die Ausstellung einer neuen Geburtsurkunde beantragen. Damit kann dann auch bei allen anderen Stellen (z. B. Arbeitgeber*innen, Schule, Uni) die Änderung der Geschlechtsbezeichnung und ggf. des Vornamens verlangt werden. Sollte nicht nur die Geschlechtsangabe, sondern auch der Vorname geändert worden sein, sollte man sich zugleich eine Bestätigung des Standesamtes über den Vornamenswechsel ausstellen lassen, um eine Personenidentität nachweisen zu können.

Gerichtliches Verfahren

Sollte das Standesamt sich weigern, die beantragte Änderung des Geschlechtseintrages vorzunehmen (z. B., weil es der Ansicht ist, dass die Voraussetzungen nicht vorliegen), kann ein Antrag an das Amtsgericht gestellt werden, das für den Ort des Geburtsstandesamtes zuständig ist. Dieses kann das Standesamt  anweisen, die Änderung der Personenstandseintragung vorzunehmen.[6]

Wenn die Mitarbeiter*innen des Standesamtes selbst Zweifel haben, was eingetragen werden soll, gibt es die Möglichkeit, dass diese sich mit einer „Zweifelsvorlage“ ebenfalls an das Amtsgericht wenden.[7]

Offene Fragen und Regelungsbedarfe

Da die Möglichkeit der Eintragung der Geschlechtsbezeichnung „divers“ bzw. das Offenlassen des Geschlechtseintrages noch relativ neu sind, gibt es teilweise noch Unklarheiten auf Seiten der Standesämter bzw. fehlende Erfahrungen, was dies praktisch für die Personen bedeutet, die einen solchen Eintrag in den Ausweispapieren haben.

So bestehen bspw. unterschiedliche Auffassungen darüber, wann eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliegt. Einige wollen dies nur bei bestimmten Diagnosen annehmen. Andere nehmen eine solche immer dann an, wenn die von der Person selbst empfundene Geschlechtsidentität weder „weiblich“ noch „männlich“ ist.

Darüber hinaus gibt es weitere rechtliche Regelungsbedarfe im Zusammenhang mit der Einführung der Möglichkeit, den Geschlechtseintrag offen zu lassen oder „divers“ eintragen zu lassen.

So sind z. B. die abstammungsrechtlichen Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) nicht an die neue Rechtslage angepasst. Im BGB wird beispielsweise eine Person, die ein Kind gebärt, nach wie vor als „Mutter“ bezeichnet, auch wenn diese nicht „weiblich“ ist.[8] Sollten aufgrund dieser oder anderer Regelungslücken praktische oder rechtliche Probleme auftreten, sollten Sie sich an Beratungsstellen oder spezialisierte Anwält*innen wenden.


[1] §18 PStG

[2] § 21 PStG

[3] § 22 Abs. 3 PStG

[4] § 47 PStG

[5] § 45b PStG

[6] § 49 PStG

[7] § 49 PStG

[8] § 42 PStV

Besuche bei der*m Ärzt*in sind in der Regel nicht gerade die Termine, auf die Menschen sich grundsätzlich freuen. Als intergeschlechtlicher Mensch oder auch als Elternteil eines intergeschlechtlichen Kindes oder Jugendlichen kann es bei solchen Besuchen zusätzliche Besonderheiten geben, die als schwierig, überfordernd oder auch unangenehm und verletzend erlebt werden.

Bei manchen Besuchen bei Ärzt*innen handelt es sich um Termine, die mit der körperlichen Variation zu tun haben, bei manchen geht es um andere gesundheitliche Anliegen. Doch egal, um welche Art von Besuch bei dem*r Ärzt*in es sich handelt, es kann immer zu unangenehmen oder unvorhersehbaren Situationen kommen.

Wir wollen Ihnen hier ein paar Tipps geben, die manche solcher unangenehmen Situationen erleichtern können. Entscheiden Sie selbst, welche Tipps Ihnen für welche Situation passend erscheinen:

Vorbereitet sein

  • Fragen aufschreiben
    Je nachdem, welche Art von Ärzt*innenbesuch ansteht, ist es sinnvoll, sich vorher gezielt ein paar Fragen aufzuschreiben, die Sie auf jeden Fall beantwortet haben wollen. Bei den Selbstorganisationen und in online Foren können Sie sich informieren, welche Fragen bei Ihrem Termin wichtig sein könnten und welche Art der Untersuchung Sie möglicherweise erwartet.
  • Antworten vorbereiten
    Vor allem bei Routinebesuchen oder auch bei Hausärzt*innenterminen kann es hilfreich sein, sich auf manche Fragen bereits im Voraus Antworten zu überlegen. Denn je nachdem, wie das Geschlecht auf der Krankenkassenkarte gekennzeichnet ist, werden manche Dinge vorausgesetzt, die bei Ihrem Körper bzw. dem Ihres Kindes nicht unbedingt so sein müssen. Vorformulierte Antworten auf manche Fragen zu haben, kann dabei helfen, dass Sie in diesen Situationen nicht verunsichert werden und Sie die Kontrolle über das Gespräch behalten. Hier hilft der Austausch mit Anderen über Erfahrungen und Hilfen.

Emotionale Unterstützung

  • Vertrauensperson mitnehmen
    Emotionale Unterstützung ist wichtig. Es hilft beispielsweise, eine Vertrauensperson an der Seite zu haben, mit der Sie sich sicher und geborgen fühlen. Wichtig ist auch, dass sich zwei Personen oftmals besser an alles erinnern können, was von Seiten des* der Mediziner*in gesagt wurde.
  • Sensorische Ablenkung
    Sensorische Ablenkung kann Angst mindern, denn sie lenkt den Fokus weg von Ängsten oder gar aufsteigender Panik auf etwas Anderes, Angenehmes. Sensorische Ablenkung kann praktisch bedeuten, dass man sich eine Playlist mit den Lieblingsliedern für den Wartebereich macht, oder dass man sich Videos im Internet anschaut. Anderen hilft möglicherweise, eine besonders gutriechende Handcreme oder ein Aromaöl zu benutzen oder einen Schluck kaltes Wasser zu trinken.
    Auch sogenannte Achtsamkeitsübungen können bei aufsteigender Angst helfen.
  • After-Care/Eigene Nachsorge
    Nach einem anstrengenden und vielleicht unangenehmen Ärzt*innenbesuch ist es hilfreich, sich selbst etwas Gutes zu tun, oder den Austausch mit Anderen in Selbsthilfestrukturen zu suchen. Manchmal hilft schon ein leckeres Eis zu essen oder ein tolles Buch zu lesen und/oder mit Freund*innen zu reden.

Im Gespräch mit Ärzt*innen

  • Beanspruchen Sie Zeit für ihre Fragen
    Wenn Sie unsicher sind, fragen Sie nach, was Sie bei Ihrem Besuch in der Praxis oder Klinik erwartet und fragen Sie auch ruhig nach dem Grund und dem Ablauf für bestimmte Untersuchungen. Auch Fragen danach, was Befunde bedeuten, sollten gestellt werden, um einerseits sicher zu gehen, dass alles was passiert, im eigenen Sinne ist und selbstverständlich auch, um den eigenen Körper bzw. den des Kindes besser kennenzulernen.
  • Fachbegriffe erklären lassen
    Wenn Fachbegriffe unklar sind, lassen Sie sich diese erklären. Sie haben das Recht, nicht nur zu wissen, was der*die Ärzt*in sagt, sondern auch, es zu verstehen. Dies gilt auch für alle Behandlungen oder therapeutischen Maßnahmen, vor allem, wenn in den Körper eingegriffen werden soll (z. B. durch eine OP), also bei invasiven Maßnahmen.
  • Kopie der Akte mitnehmen
    Fragen Sie vor allem bei Ärzt*innenbesuchen, die die Intergeschlechtlichkeit betreffen, nach Kopien der Krankenakte. So haben Sie die Daten immer zur Hand, wenn Sie den*die Ärzt*in wechseln oder nochmal etwas nachlesen möchten.

Auch wenn Sie medizinisch in guten Händen sind, kommt es oft vor, dass Sie die*der Expert*in für Ihre Intergeschlechtlichkeit oder die Ihres Kindes sind. Es kann frustrierend sein, wenn man selbst mehr über Intergeschlechtlichkeit weiß als der*die Ärzt*in. Aber Sie können Ihr Wissen teilen. Es kann zum Beispiel sinnvoll sein, einfach mal eine Broschüre mitzunehmen oder diese Internetseite zu empfehlen. So kann sich der*die Ärzt*in selbst informieren. Und auch bei diesem Anliegen kann der Austausch mit anderen Expert*innen, beispielsweise aus der Selbstorganisation, helfen.

Ärzt*innen können manchmal einschüchternd sein. Wenn Sie sich über Ihre Rechte informieren wollen, schauen Sie einfach nochmal hier nach.

Zudem kommt es immer noch vor, dass Operationen am Genital ärztlich empfohlen werden, die gesundheitlich nicht notwendig sind. Diese Operationen an Kleinkindern sind mittlerweile als Menschenrechtsverletzung von der UN anerkannt und wurden 2021 in Deutschland auch gesetzlich verboten.

Das Wichtigste bei Ärzt*innenbesuchen ist, dass Sie sich gut betreut fühlen und in Ihren Anliegen unterstützt werden. Der*Die Ärzt*in sind dafür da, dass es Ihnen bzw. Ihrem Kind gut geht!

Intergeschlechtliche Kinder, deren Genital von Ärzt*innen bei der Geburt nicht eindeutig männlich oder weiblich eingeordnet werden kann, werden häufig ohne ihre Einwilligung und ohne medizinische Notwendigkeit operiert.

Viele Organisationen wie etwa die UN, Organisation Intersex International (OII), Amnesty International u. a., bewerten diese operativen Eingriffe schon lange als Menschenrechtsverletzungen, denn die Kinder können nicht über ihren eigenen Körper entscheiden. Es bedarf der informierten Einwilligung (häufig zu finden als “informed consent“) derjenigen, die sich einer Operation unterziehen, so die Organisationen. Nur bei einer Gefährdung der Gesundheit sollten auch Eltern entscheiden dürfen, dass das Kind operiert wird.

Das Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung, das 2021 verabschiedet wurde, ist ein wichtiger Schritt, solche Operationen an Genitalien von Kindern, die nicht den Erwartungen der Eltern oder Mediziner*innen entsprechen, zu verhindern.

Neben den uneingewilligten Operationen gibt es auch noch andere Bereiche, die als Menschenrechtsverletzungen aufgefasst werden, beispielsweise, wenn das Recht auf persönliche Entfaltung und Entwicklung missachtet wird oder Komplikationen beim Zugang zu den eigenen Krankenakten auftreten.

Menschenrechte, die völkerrechtlich verankert und geschützt sind, beinhalten sowohl den Schutz aller Menschen vor Diskriminierung als auch die Rechte auf Achtung des Privatlebens, auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit, auf Selbstbestimmung und auf Anerkennung.

Verletzungen dieser Menschenrechte für intergeschlechtliche Personen finden statt, wenn

  • Inter* als Störung klassifiziert wird.
  • uneingewilligte Operationen an intergeschlechtlichen Kindern durchgeführt werden.
  • die informierte Einwilligung nicht ernstgenommen wird.
  • das Recht auf persönliche Entfaltung und Entwicklung (vor allem in Bezug auf die Geschlechtsidentität) nicht geachtet wird.
  • Komplikationen beim Zugang zu Krankenakten auftreten.
  • es zu Diskriminierung bei der Zulassung zu Sportverbänden u. ä. kommt.

Ein ausführlicher Bericht von OII Deutschland über die Verletzung der Menschenrechte ist hier zu finden.

Die EU Grundrechtsagentur (European Union Agency For Fundamental Rights FRA) hat in ihrer Umfrage (2020) auch inter* Menschen nach ihren Diskriminierungserfahren gefragt. Diese können Sie sich im Detail auf der Seite der FRA anschauen. Der LSVD hat die Daten kurz zusammengefasst.

Auch Amnesty International beschäftigt sich mit dem Thema Inter* und Menschenrechte. Auf der dortigen Seite sind auch Geschichten von intergeschlechtlichen Menschen zu lesen, deren Rechte nicht gewahrt wurden und werden.

Anregungen dazu, was man selbst tun kann, um die Wahrung der Menschenrechte in Bezug auf Inter* zu unterstützen, gibt es in dem Text zu Solidarität und Unterstützung.