„Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ (Mai 2021)

Trotz der Bemühungen von Selbstorganisationen und Aktivist*innen finden nach wie vor  Operationen an Genitalien von Kindern statt, die nicht den Erwartungen der Eltern oder Mediziner*innen entsprechen. Forschungsergebnisse zeigen, dass es im Zeitraum von 2005 bis 2016 insgesamt zu keinem Rückgang dieser Eingriffe kam.[1] Solche kosmetischen Operationen an nicht einwilligungsfähigen Kindern werden von Selbsthilfeorganisationen und der UN längst als Menschenrechtsverletzung eingestuft. Im Mai 2021 ist nun das vom Bundestag beschlossene „Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ in Kraft getreten. Das Gesetz folgte einem Referentenentwurf, der am 9. Januar 2020 an die Länder und einzelne Verbände zur Stellungnahme übersandt wurde und der der Umsetzung der Koalitationsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD diente, die gesetzlich klarstellen sollte, „dass geschlechtsangleichende medizinische Eingriffe an Kindern nur in unaufschiebbaren Fällen und zur Abwendung von Lebensgefahr zulässig sind“.[2] Im Mai 2021 wurde das Gesetz beschlossen, in dem es nun wörtlich heißt:

„(1) Die Personensorge umfasst nicht das Recht, in eine Behandlung eines nicht einwilligungsfähigen Kindes mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung einzuwilligen oder selbst diese Behandlung durchzuführen, die, ohne dass ein weiterer Grund für die Behandlung hinzutritt, allein in der Absicht erfolgt, das körperliche Erscheinungsbild des Kindes an das des männlichen oder des weiblichen Geschlechts anzugleichen“.

Zukünftig sind also diejenigen operativen Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern ausdrücklich verboten, für die es keine medizinische Indikation gibt, sondern die nur mit dem (kosmetischen) Ziel durchgeführt werden, das äußere Geschlecht des Kindes an eine männliche oder weibliche Norm anzugleichen. In Fällen von medizinisch notwendigen aber nicht unmittelbar lebensrettenden Operationen, in denen eine Entscheidung nicht bis zur eigenständigen Einwilligungsfähigkeit des Kindes aufgeschoben werden kann, können die Eltern über die Operation entscheiden, jedoch nur unter Einwilligung eines Familiengerichts. Das Gericht soll in diesen Fällen zukünftig auf Grundlage einer Stellungnahme einer interdisziplinären Kommission entscheiden, die unter anderem aus der das Kind behandelnden ärztlichen Person sowie einer Person mit kinder- und jugendpsychotherapeutischer Qualifikation besteht.

Wenn ein einwilligungsfähiges Kind einen Eingriff selbst wünscht, kann dieser ebenfalls durchgeführt werden. Die Abgrenzung des einwilligungsfähigen vom nicht einwilligungsfähigen Kind erfolgt wie allgemein bei medizinischen Behandlungen ohne Festlegung einer gesetzlichen Altersgrenze im konkreten Einzelfall auch unter Berücksichtigung des Entwicklungsstandes des Kindes bezüglich der Wahrnehmung und Reflektion seiner eigenen geschlechtlichen Identität und wird von den Eltern und dem Behandelnden festgestellt.

Das „Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ ist ein überfälliger und richtiger Schritt zum Schutz von intergeschlechtlichen Kindern, es bleibt jedoch noch abzuwarten, ob und in welcher Konsequenz es im Einzelfall tatsächlich Anwendung findet. Die Bundesregierung hat sich im Gesetz selbst verpflichtet, die Wirksamkeit der neuen Regelungen nach fünf Jahren zu überprüfen und dem Bundestag einen entsprechenden Evaluationsbericht vorzulegen. 


[1] Hoenes, Josch; Januschke, Eugen; Klöppel, Ulrike (2019): Häufigkeit normangleichender Operationen „uneindeutiger“ Genitalien im Kindesalter. Follow Up-Studie. Berlin: Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien.

[2] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode (2018). S. 21, 797-799.