Rechte Minderjähriger gegenüber ihren Eltern/Dritten

Von Gabriela Lünsmann (Rechtsanwältin, Hamburg)

Aus der Perspektive des Familienrechts stellen sich bei intergeschlechtlichen Kindern Fragen nach dem Recht auf Wissen und dem Recht auf Selbstbestimmung gegenüber ihren Eltern, aber auch gegenüber Dritten, wie z.B. behandelnden Ärzt*innen.

Rechte gegenüber Eltern

Im Grundgesetz ist das Recht der Eltern auf Ausübung ihrer elterlichen Sorge verankert; gleichzeitig hat der Staat die Aufgabe, Kinder vor ihren Eltern zu schützen, wenn diese schädliche Entscheidungen für ihre Kinder treffen wollen. Auch wenn das Sorgerecht den Eltern weitgehende Möglichkeiten gibt, Entscheidungen für ihre Kinder zu treffen, haben Minderjährige mit zunehmendem Alter auch zunehmende Rechte.

Aber auch bei einem bestehenden Sorgerecht können Eltern für ihre Kinder keine Entscheidungen treffen, die rechtlich nicht zulässig sind. Nach Einschätzung von Jurist*innen gilt dies zum Beispiel für die Einwilligung durch die Eltern in Operationen, die nicht zur Abwehr von konkreten Gesundheitsbedrohungen dienen.[1] Aufgrund der weiterhin stattfinden Operationen an einwilligungsunfähigen intergeschlechtlichen Kindern wird allerdings ein explizites Verbot von irreversiblen geschlechtsbezogenen Operationen diskutiert. Bestünde ein solches explizites Verbot, wäre es auch Eltern nicht mehr möglich, in entsprechende Operationen einzuwilligen. Auch die UN hat diese Operationen als Menschenrechtsverletzung anerkannt. Wenn Sie mehr zu Menschenrechten lesen wollen, finden Sie hier Informationen.

Jenseits der Entscheidung über eine geschlechtszuweisende Operation gibt es aber viele weitere Entscheidungen, die Eltern unter Umständen für ihr intergeschlechtliches Kind treffen.

Zum elterlichen Entscheidungsrecht gehört die Angabe des Geschlechts bei der standesamtlichen Eintragung nach der Geburt; sie ist durch das neue Gesetz nach § 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz (PStG) so geregelt, dass intergeschlechtliche Kinder nunmehr als „divers“, „weiblich“, „männlich“ oder ohne Geschlechtsangabe in das Geburtenregister eingetragen werden können. Die so getroffene Entscheidung kann nachträglich sowohl hinsichtlich des Vornamens als auch hinsichtlich des Geschlechtseintrages durch Erklärung gegenüber des Standesamtes geändert werden; eine Änderung ist auch mehrfach möglich.

Für ein Kind, das noch nicht 14 Jahre alt ist, können nur seine gesetzlichen Vertreter*innen die Erklärung abgeben. Jugendliche ab 14 Jahren können die Erklärung nur selbst abgeben; ihre gesetzlichen Vertreter*innen müssen allerdings zustimmen. Wenn die gesetzlichen Vertreter*innen nicht zustimmen, muss das Standesamt das Familiengericht informieren, das dann die Zustimmung der Eltern als gesetzliche Vertreter*innen ersetzt, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Hier können Jugendliche also die Hilfe des Familiengerichts zur Durchsetzung ihrer Rechte gegen die Eltern in Anspruch nehmen.

Eine solche Hilfe des Familiengerichts ist auch möglich, wenn Eltern und Kinder in Bezug auf eine medizinische Behandlung unterschiedliche Meinungen haben. Dies gilt sowohl dann, wenn Eltern in eine medizinische Behandlung oder Operation einwilligen wollen, die das Kind ablehnt, als auch für den Fall, dass das Kind eine bestimmte medizinische Behandlung will, die Eltern aber ihre Zustimmung verweigern.

Einwilligungsfähigkeit

Grundsätzlich ist es bei medizinischen Behandlungen, Operationen oder Therapien so, dass es darauf ankommt, ob betroffene Kinder und Jugendliche einwilligungsfähig sind; wenn dies der Fall ist, müssen sie als Patient*innen stets in die Therapieentscheidung einbezogen werden. Wenn Ärzt*innen minderjährige einwilligungsfähige Patient*innen nicht über die Behandlung und deren Vor- und Nachteile aufklären und ihre Zustimmung nicht einholen, verstoßen sie gegen geltendes Berufsrecht und machen sich strafbar. Es kann dann zu Forderungen nach Schadenersatz und Schmerzensgeld kommen.

Werden Kinder und Jugendliche behandelt, stehen Ärzt*innen daher immer vor der Frage, wer über die Behandlung aufzuklären ist und auf wessen Einwilligung es ankommt – auf die des*der Minderjährigen oder die der Eltern. Für die Wirksamkeit der Einwilligung kommt es bei Jugendlichen nicht auf die Geschäftsfähigkeit an, also auf die Fähigkeit, Verträge selbstständig abschließen zu können, sondern darauf, dass der*die Minderjährige „nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag“ (Bundesgerichtshof – BGH). Der*die Minderjährige muss also eine eigenständige Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen können. Der Beginn der Einwilligungsfähigkeit ist an kein feststehendes Mindestalter gebunden. Nach herrschender Meinung ist aber davon auszugehen, dass Minderjährige unter 14 Jahren nur in Ausnahmefällen bereits einwilligungsfähig sind.

Für die Praxis bedeutet dies, dass Ärzt*innen vor jeder Behandlung klären müssen, ob der*die Minderjährige bereits selbst einwilligungsfähig ist oder nicht. Ein*e erst 15-jährige* Patient*in kann z. B. für Routinemaßnahmen und geringfügige Eingriffe, wie eine Blutabnahme, bereits über die nötige Urteilskraft verfügen. Deutlich höher liegt die Messlatte bei Behandlungsmaßnahmen mit höheren oder hohen Risiken. Ist die*der behandelnde Ärzt*in beispielsweise unsicher, ob der*die minderjährige Patient*in einwilligungsfähig ist oder nicht, müssen die sorgeberechtigten Eltern in die therapeutische Entscheidung einbezogen werden. Für die Behandlung eines nicht einwilligungsfähigen Kindes ist immer eine elterliche Einwilligung erforderlich, die nach den Grundsätzen des Sorgerechts von beiden Elternteilen erteilt werden muss, sofern nicht ausnahmsweise ein Elternteil das alleinige Sorgerecht innehat.

Was gilt aber, wenn das Kind oder der*die Jugendliche mit dem – von den Eltern gewünschten und gestatteten – Eingriff nicht einverstanden ist? Fest steht, dass dem Willen des Kindes mit fortschreitendem Alter zunehmend Gewicht zukommt. Daher muss der*die einwilligungsunfähige Heranwachsende*r dem Alter und Reifegrad entsprechend in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Sobald ein*e Jugendliche*r einwilligungsfähig ist, also die Reife hat, die Tragweite eines Eingriffs zu erfassen, kommt es allein auf seine oder ihre Einwilligung und nicht mehr auf Wunsch und Willen der Sorgeberechtigten an. Bei der Behandlung von Kindern und noch nicht einwilligungsfähigen Jugendlichen besteht keine ärztliche Schweigepflicht gegenüber den sorgeberechtigten Eltern. Hier nehmen die Eltern ihr Sorgerecht wahr und sind damit berechtigt, über alle Belange des Ärzt*innen-Patient*innen-Verhältnisses in Kenntnis gesetzt zu werden. Zu beachten ist aber, dass auch das Kind oder der*die Jugendliche umfassend zu informieren sind.


[1]  Kolbe, Angela: Stellungnahme Zur Situation von Menschen mit Intersexualität in Deutschland; Lemke, Ulrike: Stellungnahme Zur Situation von Menschen mit Intersexualität in Deutschland.