Rechte minderjähriger intergeschlechtlicher Kinder und Jugendlicher gegenüber ihren Eltern und anderen Personen

Von Gabriela Lünsmann (Rechtsanwältin, Hamburg)

Im Familienrecht ergeben sich bei intergeschlechtlichen Kindern wichtige Fragen rund um das Recht auf Information und das Recht auf Selbstbestimmung. Diese Fragen betreffen die Eltern, aber auch Dritte, wie zum Beispiel die behandelnden Ärzt*innen.

Rechte und Pflichten von Eltern und Dritten und Selbstbestimmung der Kinder

Das Recht der Eltern auf Ausübung ihrer elterlichen Sorge ist im Grundgesetz verankert. Eltern haben mit dem Sorgerecht weitgehende Möglichkeiten, Entscheidungen für ihre Kinder zu treffen. Ihre Aufgabe ist es dabei, bestmöglich für das Kind zu sorgen. Sie dürfen keine solchen Entscheidungen treffen, die das Wohl des Kindes gefährden. Der Staat hat die Aufgabe, Kinder dann vor ihren Eltern zu schützen, wenn diese schädliche Entscheidungen treffen wollen. Der eigene Wille des Kindes spielt mit zunehmendem Alter eine immer wichtigere Rolle; je älter das Kind wird, desto weniger können Eltern Entscheidungen gegen dessen Willen treffen. Die Frage, inwieweit minderjährige Kinder mitbestimmen können und dürfen, lässt sich leider nicht allgemeingültig beantworten, sondern ist von der Einwilligungsfähigkeit des Kindes im konkreten Einzelfall abhängig. 

Es gibt viele Entscheidungen, die Eltern für ihr minderjähriges intergeschlechtliches Kind treffen. Zum elterlichen Entscheidungsrecht gehört zum Beispiel die Angabe des Geschlechts bei der standesamtlichen Eintragung nach der Geburt; sie ist durch das neue Gesetz nach § 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz (PStG) so geregelt, dass intergeschlechtliche Kinder nunmehr als „divers“, „weiblich“, „männlich“ oder „ohne Geschlechtsangabe“ in das Geburtenregister eingetragen werden können. Die so getroffene Entscheidung kann nachträglich auch vom Kind sowohl hinsichtlich des Vornamens als auch hinsichtlich des Geschlechtseintrages durch Erklärung gegenüber dem Standesamt geändert werden; eine Änderung ist auch mehrfach möglich. 

Die Entscheidung über eine geschlechtszuweisende Operation an minderjährigen Kindern ist im Rahmen des elterlichen Sorgerechts nur dann erlaubt, wenn sie aus medizinischen Gründen zur Abwehr einer konkreten und akuten Gesundheitsgefahr für das Kind erforderlich ist. Für solche Eingriffe benötigen Ärzt*innen dann die Einwilligung der Eltern, wenn der operative Eingriff an minderjährigen, nicht einwilligungsfähigen Kindern vorgenommen werden soll. 

Operationen hingegen, die medizinisch nicht notwendig sind und dem Zweck dienen, Geschlechtsmerkmale an das binäre Bild von männlich und weiblich anzupassen, stellen eine Menschenrechtsverletzung dar. Um minderjährige, nicht einwilligungsfähige Kinder vor solchen Eingriffen zu schützen, hat der Gesetzgeber mit dem „Gesetz zum Schutze von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ aus dem Jahre 2021 nun entschieden, dass solche operative Eingriffe nicht von der elterlichen Sorge umfasst werden. Diese Operationen sind nur mit der ausdrücklichen Einwilligung des einwilligungsfähigen Kindes selber zulässig, andernfalls machen sich die Beteiligten strafbar. 

Endlich sind solche Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern nun ausdrücklich verboten, wenn es keine medizinische Indikation gibt und sie allein in der Absicht erfolgen, das körperliche Erscheinungsbild an das des männlichen oder weiblichen Geschlechts anzupassen. Medizinisch notwendige, aber nicht unmittelbar lebensrettende Eingriffe, deren Entscheidung nicht bis zur Einwilligungsfähigkeit des Kindes aufgeschoben werden kann, sind nur mit Einwilligung des Familiengerichts zulässig. Welche Operationen zu welcher Gruppe gehören, lässt sich nur im jeweiligen Einzelfall klären. 

Rechte der Kinder gegenüber ihren Eltern und Dritten

Die Erklärung zum Personenstand kann für ein Kind, das noch nicht 14 Jahre alt ist, nur durch seine gesetzlichen Vertreter*innen abgegeben werden. Jugendliche ab 14 Jahren können die Erklärung nur selbst abgeben; ihre gesetzlichen Vertreter*innen müssen allerdings zustimmen. Wenn die gesetzlichen Vertreter*innen nicht zustimmen, muss das Standesamt das Familiengericht informieren, das dann die Zustimmung der Eltern als gesetzliche Vertreter*innen ersetzt, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Hier können Jugendliche also die Hilfe des Familiengerichts zur Durchsetzung ihrer Rechte gegen die Eltern in Anspruch nehmen. 

Die behandelnden Ärzt*innen müssen bei medizinischen Behandlungen, Operationen oder Therapien prüfen, ob betroffene Kinder und Jugendliche einwilligungsfähig sind. Wenn dies der Fall ist, müssen sie als Patient*innen stets in die Therapieentscheidung einbezogen werden. Ärzt*innen müssen ihre minderjährigen Patient*innen über die Behandlung und deren Vor- und Nachteile aufklären und die Einwilligung der Patient*innen einholen. Wenn sie das nicht tun, machen sie sich strafbar und verstoßen gegen das geltende Berufsrecht. Das Kind kann dann möglicherweise Ansprüche auf Schadenersatz und Schmerzensgeld geltend machen. 

Wenn ein einwilligungsfähiges Kind einen Eingriff wünscht, kann und muss ein medizinisch indizierter Eingriff durchgeführt werden. Es kommt dann allein auf den Wunsch des Kindes und nicht auf den der Sorgeberechtigten an. In der Praxis werden die behandelnden Ärzt*innen dennoch aus Krankenversicherungs- und vertragsrechtlichen Gründen regelmäßig auf der Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern bestehen. Weigern sich die gesetzlichen Vertreter*innen, diese zu erteilen, kann das Kind auch hier sich an das Familiengericht wenden. 

Das Familiengericht kann also im Ergebnis sowohl dann angerufen werden, wenn Eltern in eine medizinische Behandlung oder Operation einwilligen wollen, die das Kind ablehnt, als auch für den Fall, dass das Kind eine bestimmte medizinische Behandlung will, die Eltern aber ihre Zustimmung verweigern. Wenn es zwischen Eltern, Ärzt*innen und Kind unterschiedliche Auffassungen dazu gibt, ob bei einem Kind im Einzelfall eine Einwilligungsfähigkeit besteht, ist diese Frage der familiengerichtlichen Überprüfung zugänglich.

Aber auch dem Willen von noch nicht einwilligungsfähigen Kinder und Heranwachsenden kommt mit fortschreitendem Alter zunehmend Gewicht zu. Daher muss der*die einwilligungsunfähige Heranwachsende*r dem Alter und Reifegrad entsprechend in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Bei der Behandlung von Kindern und noch nicht einwilligungsfähigen Jugendlichen besteht keine ärztliche Schweigepflicht gegenüber den sorgeberechtigten Eltern. Hier nehmen die Eltern ihr Sorgerecht wahr und sind damit berechtigt, über alle Belange des Ärzt*innen-Patient*innen-Verhältnisses in Kenntnis gesetzt zu werden. Zu beachten ist aber, dass auch das Kind oder der*die Jugendliche umfassend zu informieren sind. 

Einwilligungsfähigkeit

Werden Kinder und Jugendliche behandelt, stehen Ärzt*innen daher immer vor der Frage, wer über die Behandlung aufzuklären ist und auf wessen Einwilligung es ankommt – auf die des*der Minderjährigen oder die der Eltern oder muss die Einwilligung des Familiengerichts eingeholt werden, bevor ein Eingriff durchgeführt werden. Für die Wirksamkeit der Einwilligung kommt es bei Jugendlichen nicht auf die Geschäftsfähigkeit an, also auf die Fähigkeit, Verträge selbstständig abschließen zu können, sondern darauf, dass der*die Minderjährige „nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag“. Der*die Minderjährige muss also eine eigenständige Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen können. Der Beginn der Einwilligungsfähigkeit ist an kein feststehendes Alter gebunden, sondern unterscheidet sich nach Entwicklungsstand und oft auch nach vorangegangenen Behandlungserfahrungen. Nach herrschender Meinung ist aber davon auszugehen, dass Minderjährige unter 14 Jahren nur in Ausnahmefällen bereits einwilligungsfähig sind.

Für die Praxis bedeutet dies, dass Ärzt*innen vor jeder Behandlung klären müssen, ob der*die Minderjährige bereits selbst einwilligungsfähig ist oder nicht. Ein*e erst 15-jährige* Patient*in kann z. B. für Routinemaßnahmen und geringfügige Eingriffe, wie eine Blutabnahme, bereits über die nötige Urteilskraft verfügen. Deutlich höher liegt die Messlatte bei Behandlungsmaßnahmen mit höheren oder hohen Risiken. Ist die*der behandelnde Ärzt*in beispielsweise unsicher, ob der*die minderjährige Patient*in einwilligungsfähig ist oder nicht, müssen die sorgeberechtigten Eltern in die therapeutische Entscheidung einbezogen werden. Für die Behandlung eines nicht einwilligungsfähigen Kindes ist immer eine elterliche Einwilligung erforderlich, die nach den Grundsätzen des Sorgerechts von beiden Elternteilen erteilt werden muss, sofern nicht ausnahmsweise ein Elternteil das alleinige Sorgerecht innehat.