Rechte von Kindern und Jugendlichen gegenüber ihren Eltern und anderen Personen

Geschrieben von:
Gabriela Lünsmann
Frau Lünsmann ist Rechtsanwältin in Hamburg.

Inter-geschlechtliche Kinder haben ein Recht auf Wissen.
Und ein Recht auf Selbst-Bestimmung.
Kinder können von ihren Eltern verlangen:
– Gebt mir Informationen.
– Lasst mich entscheiden.
Die Kinder können das auch von anderen Menschen verlangen.
Zum Beispiel von Ärzten und Ärztinnen.
Es sind sich nicht immer alle einig:
– Welche Rechte haben Kinder.
– Welche Rechte haben Eltern.
– Was passiert,
wenn Kinder und Eltern unterschiedliche Meinungen haben.
Das Familien-Recht kümmert sich um diese Fälle.

Rechte gegenüber Eltern

Eltern haben das Recht,
für ihre Kinder zu entscheiden.
Das nennt man Sorge-Recht.
Das Sorge-Recht steht im Grund-Gesetz.
Aber Eltern dürfen keine Entscheidungen treffen,
die schlecht für ihre Kinder sind.
Kinder müssen vor schlechten Entscheidungen beschützt werden.
Eltern können ganz viele Entscheidungen für ihre Kinder treffen.
Aber wenn das Kind älter wird,
bekommt es immer mehr Rechte.

Es gibt Menschen,
die sich sehr gut mit Gesetzen auskennen.
Diese Menschen werden Juristen genannt.
Eltern dürfen keine Entscheidungen treffen,
die gegen das Gesetz verstoßen.
Viele Juristen und Juristinnen sagen:
Das gilt auch für die Zustimmung zu Operationen
ohne gesundheitliche Gründe.[1]
Aber inter-geschlechtliche Kinder werden immer noch operiert.
Junge Kinder werden operiert.
Sie können nicht zustimmen.
Deshalb fordern einige ein Verbot.
Sie sagen:
Es darf keine kosmetischen Operationen
von inter-geschlechtlichen Kindern geben.
Das heißt:
Es darf keine Operationen geben,
die das Geschlecht von Kindern verändern.
Und zwar dauer-haft.
Das heißt:
Es gibt keine Möglichkeit,
die Operation rückgängig zu machen.
Viele finden ein richtiges Verbot gut.
Dann können Eltern diesen Operationen nicht mehr zustimmen.
Auch die Vereinten Nationen sagen:
Kosmetische Operationen verstoßen gegen Menschen-Rechte.
Sie finden hier mehr Informationen.

Eltern treffen auch viele andere Entscheidungen.

Jeder Mensch in Deutschland muss ein Geschlecht haben.

Das steht in einem Gesetz.

Das Gesetz heißt:

Personen-Stands-Gesetz.
Die Eltern gehen nach der Geburt zum Standes-Amt.
Dort sagen sie:
Wir haben ein Kind bekommen.
Und sie geben an,
welches Geschlecht ihr Kind hat.
Heute haben Eltern 4 Möglichkeiten.
Sie können zum Beispiel sagen:
– Das Kind ist ein Junge.
– Das Kind ist ein Mädchen.
Es gibt in Deutschland auch ein drittes Geschlecht.
Das dritte Geschlecht ist für inter-geschlechtliche Menschen.
Das dritte Geschlecht heißt:
divers.
Das spricht man:
di-wers.
Divers ist ein anderes Wort für:
Verschieden oder mehrere.
Eltern können auch kein Geschlecht angeben.

Eltern entscheiden also über das Geschlecht.
Das kennt man Geschlechts-Eintrag.
Diese Entscheidung kann später geändert werden.
Dazu geht man noch einmal zum Standes-Amt.
Dort gibt man eine Erklärung ab.
Mit der Erklärung sagt man:
Der Geschlechts-Eintrag soll geändert werden.
Der Geschlechts-Eintrag kann mehr als einmal geändert werden.
Der Vorname von einem Kind kann auch geändert werden.

Wer darf über eine Änderung entscheiden?
Bei Menschen unter 14 Jahren:
Die Eltern müssen die Erklärung abgeben.
Bei Menschen ab 14 Jahren:
Die betroffene Person gibt die Erklärung ab.
Die Eltern müssen zustimmen.
Es kann passieren,
dass die Eltern nicht zustimmen.
Das Standes-Amt informiert dann das Familien-Gericht.
Das Familien-Gericht guckt:
Schadet die Änderung dem Kind?
Das Familien-Gericht kann der Änderung zustimmen.
Das ersetzt die Zustimmung von den Eltern.
Das bedeutet:
Das Familien-Gericht kann Kindern helfen.
Kinder können ihre Rechte nutzen.
Auch wenn ihre Eltern das nicht gut finden.

Das Familien-Gericht hilft auch in anderen Fällen.
Zum Beispiel bei medizinischen Fragen.
Eltern und Kinder sind manchmal anderer Meinung.
Dann entscheidet das Familien-Gericht.
Zum Beispiel:
Eltern wollen eine Operation.
Aber das Kind will die Operation nicht.
Oder:
Das Kind will eine Behandlung haben.
Aber die Eltern stimmen nicht zu.

Einwilligungs-Fähigkeit

Einwilligungs-Fähigkeit bedeutet:
Eine Person kann zustimmen.
Sie hat genug Informationen.
Und sie kennt die Folgen.
Sie kann eine gute Entscheidung treffen.
Es wird immer geguckt:
Kann die betroffene Person selbst entscheiden?
Einwilligungs-fähige Kinder und Jugendliche dürfen mitreden.
Sie dürfen ihre Meinung sagen.
Sonst darf keine Entscheidung getroffen werden.
Das gilt für:
– Alle Behandlungen.
– Operationen.
Eltern entscheiden für ihre Kinder,
bis die Kinder 18 sind.
Kinder unter 18 Jahren sind minder-jährig.
Aber minder-jährige Kinder und Jugendliche haben Rechte.
Ärzte und Ärztinnen müssen mit ihnen sprechen.
Sie müssen die Behandlung erklären.
Sie müssen den Kindern alle Vorteile und Nachteile sagen.
Die Kinder und Jugendlichen müssen zustimmen.
Das gilt für alle Personen:
– Die unter 18 Jahre alt sind.
– Und die einwilligungs-fähig sind.
Ärzte und Ärztinnen müssen sich an diese Regeln halten.
Sonst machen sie sich strafbar.
Betroffene können eine Entschädigung verlangen.
Das heißt:
Der Arzt oder die Ärztin muss ihnen Geld bezahlen.

Ärzte und Ärztinnen müssen sich bei Kindern und Jugendlichen immer fragen:
– Wen muss ich informieren?
– Wer muss zustimmen?
Wann ist ein Jugendlicher einwilligungs-fähig?
Das hängt davon ab:
Wie weit ist der Jugendliche entwickelt?
Jugendliche müssen ihre Entscheidung verstehen.
Sie müssen verstehen:
– Was bedeutet die Operation?
– Welche Folgen hat die Operation?
– Welche Folgen hat meine Zustimmung?
Sie müssen die Vorteile und Nachteile kennen.
Und sie müssen entscheiden:
– Sind die Vorteile größer als die Nachteile?
– Oder sind die Nachteile größer als die Vorteile?
Es gibt kein festes Mindestalter.
Die meisten Menschen nehmen an:
Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren
sind normaler-weise nicht einwilligungs-fähig.
Aber es kann Ausnahmen geben.

Ärzte und Ärztinnen müssen also im Einzel-Fall entscheiden:
Ist die betroffene Person einwilligungs-fähig oder nicht?
Die Entscheidung hängt auch von der Art der Behandlung ab.
Eine Person kann mit 15 Jahren vielleicht zustimmen,
wenn es um ganz einfache Dinge geht.
Zum Beispiel:
Blut abnehmen.
Das heißt nicht automatisch,
dass sie auch schwerere Entscheidungen treffen kann.
Zum Beispiel:
Operationen mit großem Risiko.
Der Arzt oder die Ärztin ist vielleicht unsicher:
Ist der Patient einwilligungs-fähig oder nicht?
Dann müssen die Eltern mit-entscheiden.
Nicht einwilligungs-fähige Kinder:
Die Eltern müssen zustimmen.
Normalerweise müssen beide Eltern zustimmen.
Ausnahme:
Nur ein Eltern-Teil hat das Sorge-Recht für das Kind.
Dann muss nur dieser Eltern-Teil zustimmen.
Sorge-Recht bedeutet:
Eltern kümmern sich um ihre Kinder.
Das ist ein Recht.
Und eine Pflicht.
Normalerweise kümmern Eltern sich gemeinsam.
Aber manchmal wird entschieden:
Es ist besser,
wenn nur ein Eltern-Teil sich kümmert.
Das muss immer das Beste für das Kind sein.

Stellen Sie sich diese Situation vor:
Die Eltern wollen einen Eingriff.
Zum Beispiel eine Operation.
Die Eltern stimmen der Operation zu.
Aber das Kind will diese Operation nicht.
Was passiert dann? Es gilt die Regel:
Je älter das Kind ist,
desto wichtiger ist die Meinung von diesem Kind.
Eltern dürfen also nicht einfach so entscheiden.
Eltern müssen ihre Kinder mit-entscheiden lassen.
Manche Jugendliche verstehen schon genau,
was die Operation bedeutet.
Das heißt:
Sie sind einwilligungs-fähig.
Einwilligungs-fähige Jugendliche entscheiden selbst.
Ihre Meinung ist wichtiger als die von ihren Eltern.


Das Verhältnis von Ärzten und Ärztinnen und Patienten und Patientinnen ist geschützt.
Ärzte und Ärztinnen haben eine Schweigepflicht.
Das heißt:
Sie sagen nichts weiter.
Das gilt nicht bei Kindern und nicht einwilligungsfähigen Jugendlichen.
Dann dürfen Ärzte und Ärztinnen Eltern alles erzählen.
Die Eltern haben das Sorge-Recht.
Und das Recht,
alles über ihr Kind zu wissen.
Aber die Ärzte und Ärztinnen müssen auch das Kind informieren.


[1] Kolbe, Angela: Stellungnahme Zur Situation von Menschen mit Intersexualität in Deutschland; Lemke, Ulrike: Stellungnahme Zur Situation von Menschen mit Intersexualität in Deutschland.