Von Dr. Oliver Tolmein (Rechtsanwalt, Hamburg)
Intergeschlechtlichkeit ist keine Krankheit. Dennoch haben intergeschlechtliche Menschen oftmals engen und langjährigen Kontakt mit Ärzt*innen. Dies liegt zum Teil an Folgeerscheinungen von Operationen oder auch an Vor- oder Nachsorgeterminen.
Seit Juli 2016 gibt es nun eine S2k-Leitlinie für Mediziner*innen zu Intergeschlechtlichkeit, welche sich „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ nennt. An dieser Leitlinie haben neben vielen Ärzt*innen auch Elternverbände und intergeschlechtliche Menschen selbst mitgearbeitet. Behandlungsleitlinien sind wichtig für Mediziner*innen, sie sind aber nicht verbindlich. Niemand muss sich an sie halten. Allerdings müssen Abweichungen von den Standards der Leitlinie im Haftungsfall von den Ärzt*innen gut begründet werden.
Für die medizinische Behandlung und ihre Dokumentation gelten grundlegende Regeln:
- Eine medizinische Behandlung erfordert die Einwilligung der Patient*innen.[1] Eine Einwilligung ist nur wirksam, wenn die*der Patient*in zuvor umfassend über die wesentlichen Umstände der Behandlung aufgeklärt worden ist.[2]
- Wenn ein*e Patient*in selbst nicht einwilligen kann, zum Beispiel, weil es sich um ein Kleinkind handelt, kann der Eingriff unzulässig sein. Das gilt insbesondere bei irreversiblen geschlechtszuweisenden Eingriffen. In der Behandlungsleitlinie heißt es dazu in „Empfehlung 31“: „Die Indikation zu operativen Eingriffen beim nicht-einwilligungsfähigen Kind soll immer restriktiv gestellt werden. Die Sorgeberechtigten können nur für solche Eingriffe beim nicht einwilligungsfähigen Kind einwilligen, die einer medizinischen Indikation unterliegen und nachfolgenden Schaden vom Kind abwenden.“[3]
- Auch ein*e Patient*in, für die eine Vertreter*in entscheidet, muss von den Behandelnden aufgeklärt werden[4], das ist insbesondere bei Kindern wichtig, die noch nicht einwilligungsfähig sind, sich aber sprachlich verständigen können. Das ist auch deswegen wichtig, weil es deutlich macht, dass die betroffenen Menschen ein Recht darauf haben, zu erfahren, warum sie behandelt werden und was genau mit ihnen gemacht werden soll.
- Es gibt kein festes Alter, ab dem Kinder einwilligungsfähig sind oder bis zu dem sie nicht einwilligungsfähig sind. Es können durchaus Kinder für bestimmte Eingriffe einwilligungsfähig sein. Dann ist ihre Einwilligung auch Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Behandlung.
- Die Patient*innen haben ein Recht darauf Einsicht, in ihre Behandlungsakte zu nehmen. Diese muss von den Krankenhäusern und Ärzten allerdings nur 10 Jahre lang aufbewahrt werden.[5]
- Wenn Ärzt*innen Behandlungen durchführen, obwohl sie nicht ordnungsgemäß über alle Aspekte der Behandlung aufgeklärt haben oder wenn sie dabei unzutreffende Aussagen gemacht haben, kann die Einwilligung unwirksam sein. Eine ohne Einwilligung durchgeführte Behandlung ist mindestens eine Körperverletzung. Eine Körperverletzung ist in der Regel strafbar[6], sie löst meistens auch Schadenersatzansprüche aus.[7]
Im Verhältnis Ärzt*in und Patient*innen spielen noch andere, wichtige
Fragen eine Rolle. Von großer Bedeutung ist die Schweigepflicht, der Ärzt*innen
unterliegen. Geschützt wird durch die Schweigepflicht die persönliche Sphäre
der Patient*innen. Es gibt dabei manchmal auch schwierige Situationen –
beispielsweise, wenn nicht volljährige Patient*innen möchten, dass Gespräche
zwischen Ärzt*in und ihnen vor den Eltern geheim gehalten werden. Die
Rechtslage hängt hier sehr vom Einzelfall ab. Grundsätzlich gilt die
Schweigepflicht aber auch hier. Ausnahmen kann es geben, wenn die Ärzt*innen
durch den Bruch der Schweigepflicht versuchen, ein hohes Rechtsgut zu schützen,
beispielsweise das Leben eines*einer Patient*in, von der*dem angenommen wird,
dass diese Person suizidal. Die Schweigepflicht gilt aber immer nur gegenüber
Dritten, nie gegenüber den Patient*innen. Patient*innen haben immer das Recht
darauf zu erfahren, weswegen sie behandelt werden und wie Behandlung und
Erkrankung voraussichtlich verlaufen werden.[8]
[3] Vgl. dazu auch den Text von Oliver Tolmein „Chirurgische Eingriffe am Genital nicht einwilligungsfähiger intersexueller Kinder und der Schutz der geschlechtlichen Identität“ in MedStra, Zeitschrift für Medizinstrafrecht, Nr. 3/2019.
[5] § 630f Abs. 3 BGB, § 630g Abs. 1 BGB.
[7] Bisher sind zwei Klagen vor Gericht verhandelt worden. In beiden Fällen bekamen die Kläger*innen Recht.