Die S2k-Leitlinie Varianten der Geschlechts-Entwicklung

S2k-Leitlinie:
Was bedeutet das?

Die S2k-Leitlinie zu Varianten der Geschlechts-Entwicklung ist eine medizinische Leitlinie.
Eine Leitlinie enthält Empfehlungen.
Diese Empfehlungen gelten für alle Ärzte und Ärztinnen.
Die S2k-Leitlinie zu Varianten der Geschlechts-Entwicklung gilt seit 2016.
Die Leitlinie wird nach 5 Jahren überprüft.
Also im Jahr 2021.

Es gibt verschiedene Arten von Leitlinien.
Sk2 heißt:
Die Leitlinie ist konsensbasiert.
Konsensbasiert bedeutet:
Menschen haben sich auf etwas geeinigt.
Das funktioniert so:
Eine Gruppe arbeitet an der Leitlinie.
Diese Gruppe nennt man Leitliniengruppe.
Die Mitglieder dieser Gruppe[1] diskutieren ganz viel.
Sie überlegen sich Empfehlungen für Ärzte und Ärztinnen.
Am Ende stimmen sie ab.
Andere Arten von Leitlinien sind:

  • S1       Handlungsempfehlungen einer Expert*innengruppe.
    Das bedeutet:
    Experten schreiben Empfehlungen.
  • S2e     Evidenzbasierte Leitlinie.
    Das bedeutet:
    Die Leitlinie basiert auf wissenschaftlichen Ergebnissen.
  • S3       Evidenz- und Konsensbasierte Leitlinie
    Das heißt:
    Die Leitlinie basiert auf wissenschaftlichen Ergebnissen.
    Und Experten haben diskutiert.
    Und sich auf die Leitlinien geeinigt.

Die AWMF veröffentlicht die Leitlinien.
AWMF steht für:
Arbeits-Gemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fach-Gesellschaften.
Eine Fach-Gesellschaft ist eine Gruppe von Menschen.
Diese Menschen interessieren sich alle für ein Thema.
Und arbeiten mit diesem Thema.
Die AWMF ist ein Verein für ganz viele medizinische Fach-Gesellschaften.
Die AWMF veröffentlicht Leitlinien.
Wichtig ist:
Leitlinien sind Empfehlungen.
Es gibt keine Pflicht,
sich an Leitlinien zu halten.
Leitlinien sagen:
Das ist gut.
Sie helfen bei Entscheidungen.
Und sie sorgen für mehr Sicherheit in der Medizin.

Eine Leitlinie zu Varianten der Geschlechts-Entwicklung:
Warum ist die Leitlinie wichtig?

Ärzte und Ärztinnen sind wichtig für inter-geschlechtliche Menschen.
Viele Menschen wissen erstmal gar nicht,
dass sie inter-geschlechtlich sind.
Ein Arzt oder eine Ärztin stellt das dann fest.

Früher hat man gedacht:
Es gibt nur Männer und Frauen.
Und andere Variationen
also andere Formen –
sind eine Krankheit.
Das war ein Problem für inter-geschlechtliche Kinder.
Ein Arzt oder eine Ärztin hat dann bestimmt:
Dieses Kind ist ein Junge.
Oder ein Mädchen.
Dem Arzt oder der Ärztin war egal,
was gut für das Kind ist.
Und viele dachten:
Ein Junge muss wie ein Junge aussehen.
Und ein Mädchen muss wie ein Mädchen aussehen.
Dafür gab es Operationen.
Zum Beispiel wurden die Geschlechts-Organe operiert.
Das heißt in diesem Fall:
verändert.
Nach einer Operation sah der Junge wie ein typischer Junge aus.
Oder das Mädchen wie ein typisches Mädchen.
Operationen fanden oft ohne medizinische Indikation statt.
Das bedeutet:
Der Arzt oder die Ärztin hat operiert.
Aber die Operation war nicht lebens-notwendig.

Inter-geschlechtliche Menschen fanden die Operationen schlecht.
Viele Menschen haben protestiert.
Sie haben dafür gekämpft,
dass Operationen verboten werden.
Heute darf man inter-geschlechtliche Menschen nicht einfach operieren.
Inter-geschlechtliche Menschen dürfen sein,
wie sie sind.
Das ist ihr Menschen-Recht.
Und auch die deutschen Ärzte und Ärztinnen sagen:
Inter-geschlechtliche Menschen müssen nicht operiert werden.
Aber Wissenschaftler haben festgestellt:
Es werden heute noch
genauso viele inter-geschlechtliche Menschen operiert.

Was empfiehlt die Leitlinie?

Die Leitlinie sagt:
Inter-Geschlechtlichkeit ist keine Krankheit.
Und muss nicht behandelt werden.
Die Leitlinie empfiehlt:
Keine Operationen ohne medizinischen Grund.
Operationen an Geschlechts-Organen
werden nur in Notfällen durchgeführt.
Ein Beispiel ist die Entfernung der Gonaden.
Ein anderes Wort für Gonade
ist Geschlechts-Drüse oder Keim-Drüse.
Eine Gonade ist ein Geschlechts-Organ.
Bei Männern heißt die Gonade Hoden.
Bei Frauen heißt die Gonade Eierstock.
Der Hoden oder der Eierstock
produziert Geschlechts-Hormone und Keimzellen.
Hormone sind Boten-Stoffe.
Hormone lösen im Körper bestimmte Prozesse aus.
Keim-Zellen sind für die Fortpflanzung wichtig.
Die Gonaden wurden früher
bei inter-geschlechtlichen Menschen oft entfernt.
Heute sagt die Leitlinie:
Gonaden werden nicht entfernt.
Eine Ausnahme gibt es:
Wenn ein hohes Risiko für Krebs besteht.
Sie finden hier mehr Informationen zum Krebs-Risiko.
Die Leitlinie empfiehlt:
Wenn kein hohes Krebs-Risiko besteht,
werden die Gonaden nur regelmäßig untersucht.

Die Leitlinie gibt Empfehlungen zur Diagnose-Stellung.
Das heißt:
Ein Arzt untersucht einen Patienten.
Der Arzt stellt verschiedene Symptome fest.
Symptome sind Zeichen für eine bestimmte Entwicklung.
Der Arzt überlegt,
was die Symptome bedeuten.
Diesen Vorgang nennt man dann eine Diagnose stellen.
Der Arzt muss verschiedene Untersuchungen machen.
Dazu gehören:


– Bild-gebende Verfahren.
Ärzte und Ärztinnen können Bilder von Körper-Teilen machen.
Und in das Innere eines Körpers hineingucken.
Das nennt man bild-gebende Verfahren.
Ein Beispiel sind:
Ultraschall-Untersuchungen.


– Eine klinische Untersuchung.
Die Diagnose-Stellung beginnt sehr oft mit einer klinischen Untersuchung.
Klinische Untersuchung bedeutet:
Ein Arzt oder eine Ärztin untersucht einen Patienten.
Der Arzt oder die Ärztin benutzt dafür seine Sinne.
Das sind zum Beispiel seine Augen, Ohren und Hände.
Der Arzt oder die Ärztin benutzt auch einfache Geräte.


– Hormonelle Diagnostik.
Hormone sind wichtige Boten-Stoffe im Körper.
Der Mensch braucht Hormone,
damit im Körper alles funktioniert.
Ein Arzt oder eine Ärztin kann den Hormon-Haushalt untersuchen.
Das heißt:
Sind alle Hormone da?
Gibt es zu viel oder zu wenig von einem Hormon?
Dazu nimmt er dem Patienten oder der Patientin Blut ab.
Das Blut wird untersucht.


– Genetische Diagnostik.
Wir erben Gene von unseren Eltern.
Gene sind ein Stück DNA.
DNA ist eine Abkürzung.
DNA bedeutet:
Desoxyribo-Nuklein-Säure.
Oder auf Englisch:
deoxyribo-nucleic acid.
Jeder Mensch hat eine DNA.
In der DNA ist das Erb-Gut von einem Menschen.
Das Erb-Gut bestimmt zum Beispiel:
Welche Haar-Farbe hat ein Mensch?

Die DNA ist überall in einem Menschen.
Zum Beispiel in der Haut.
Oder in den Haaren.
Die DNA ist bei jedem Menschen unterschiedlich.
Unsere Gene enthalten ganz viele Informationen.
Manche Ärzte oder Ärztinnen können diese Informationen untersuchen.
Und so ganz viel über einen Menschen erfahren.

Die Leitlinie gibt auch Empfehlungen zur Beratung und zur Behandlung.
Zwei Dinge sind sehr wichtig:
– Jeder Mensch darf ein gutes Leben führen.
– Jeder Körper ist gut.
Kein Körper muss verändert werden.
Inter-geschlechtliche Menschen
sollen von vielen verschiedenen Fachleuten beraten werden.
Dafür gibt es besondere Einrichtungen.
Sie werden inter-disziplinäre Kompetenz-Zentren genannt.
Inter-disziplinär bedeutet:
aus verschiedenen Fach-Bereichen.
Das leichte Wort für Kompetenzen ist:
Fähigkeiten.
Kompetenz-Zentrum bedeutet:
Es gibt ganz viele Kompetenzen an einem Ort.
Kinder sollen mit-entscheiden dürfen.
Sie dürfen nur operiert werden,
wenn sie damit einverstanden sind.
Der Körper ist eine ganz private Sache.
Deshalb darf jeder Mensch alle Entscheidungen zu seinem Körper selbst treffen.
Die einzige Ausnahme:
Das Leben und die Gesundheit sind in Gefahr.
Auch Kinder haben Rechte.
Deshalb müssen wir Kinder über ihren Körper informieren.
Wenn sie älter werden,
müssen wir ihnen immer mehr erklären.

Eine Diagnose ist eine schwierige Sache.
Die Diagnose muss gründlich erklärt werden.
Die Leitlinie empfiehlt:
Es finden einige Gespräche statt.
Der Arzt oder die Ärztin erklärt die Diagnose.
Der Arzt oder die Ärztin und die inter-geschlechtliche Person besprechen:
– Was bedeutet die Diagnose?
– Was passiert jetzt?
Bei inter-geschlechtlichen Kindern gilt:
Der Arzt oder die Ärztin spricht mit den Eltern und den Kindern.
Die Leitlinie empfiehlt auch eine Peer-Beratung.
Peer-Beratung bedeutet:
Inter-geschlechtliche Menschen beraten inter-geschlechtliche Menschen.
Und Eltern mit einem inter-geschlechtlichen Kind beraten andere Eltern.

Und wie geht es weiter?

Die Leitlinie ist ein Fortschritt.
Aber das ist noch nicht genug.
Die Leitlinie ist nicht verbindlich.
Das heißt:
Man muss die Leitlinie nicht einhalten.
Es gibt keine Strafen.
Es gibt zwei Möglichkeiten für eine verbindliche Vorschrift:
– eine Richtlinie der Ärztekammern
Alle Ärzte und Ärztinnen in Deutschland sind Mitglied in einer Ärztekammer.
Die Ärztekammern vertreten die Interessen der Ärzte und Ärztinnen.
Die Ärztekammern überwachen die Arbeit von Ärzten und Ärztinnen.
– ein Gesetz

Heute gibt es keine verbindliche Vorschrift.
Deswegen werden Menschen immer noch falsch behandelt.
Es ist wichtig, dass Sie wissen:
– Was die Leitlinien empfehlen.
– Welche Rechte Sie haben.

Lesen Sie hier die ganze Leitlinie.


[1] Die Mitglieder
in der Leitliniengruppe für die S2k-Leitlinie Varianten der Geschlechts-Entwicklung
vertreten die folgenden Organisationen:
– Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) e. V.
– Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP)
– Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG)
– Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin e. V. (GNPI)
– Deutsche Gesellschaft für Humangenetik e. V. (GfH)
– Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e. V. (DGSPJ)
– Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS)
– Akademie für Ethik in der Medizin e. V. (AEM)
– Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie (GPR)
– Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE)
– Deutsche Gesellschaft für Pathologie e. V. (DGP)
– Psychotherapeutenkammer Berlin
– Deutsche Gesellschaft für Psychologie e. V. (DGPs)
– Eltern-SHG XY-Frauen (Intersexuelle Menschen e. V.)
– AGS-Eltern- und Patienteninitiative e. V.
– Intersexuelle Menschen e. V., Bundesverband.

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