Trotz der Bemühungen von Selbstorganisationen und Aktivist*innen finden nach wie vor  Operationen an Genitalien von Kindern statt, die nicht den Erwartungen der Eltern oder Mediziner*innen entsprechen. Forschungsergebnisse zeigen, dass es im Zeitraum von 2005 bis 2016 insgesamt zu keinem Rückgang dieser Eingriffe kam.[1] Solche kosmetischen Operationen an nicht einwilligungsfähigen Kindern werden von Selbsthilfeorganisationen und der UN längst als Menschenrechtsverletzung eingestuft. Im Mai 2021 ist nun das vom Bundestag beschlossene „Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ in Kraft getreten. Das Gesetz folgte einem Referentenentwurf, der am 9. Januar 2020 an die Länder und einzelne Verbände zur Stellungnahme übersandt wurde und der der Umsetzung der Koalitationsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD diente, die gesetzlich klarstellen sollte, „dass geschlechtsangleichende medizinische Eingriffe an Kindern nur in unaufschiebbaren Fällen und zur Abwendung von Lebensgefahr zulässig sind“.[2] Im Mai 2021 wurde das Gesetz beschlossen, in dem es nun wörtlich heißt:

„(1) Die Personensorge umfasst nicht das Recht, in eine Behandlung eines nicht einwilligungsfähigen Kindes mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung einzuwilligen oder selbst diese Behandlung durchzuführen, die, ohne dass ein weiterer Grund für die Behandlung hinzutritt, allein in der Absicht erfolgt, das körperliche Erscheinungsbild des Kindes an das des männlichen oder des weiblichen Geschlechts anzugleichen“.

Zukünftig sind also diejenigen operativen Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern ausdrücklich verboten, für die es keine medizinische Indikation gibt, sondern die nur mit dem (kosmetischen) Ziel durchgeführt werden, das äußere Geschlecht des Kindes an eine männliche oder weibliche Norm anzugleichen. In Fällen von medizinisch notwendigen aber nicht unmittelbar lebensrettenden Operationen, in denen eine Entscheidung nicht bis zur eigenständigen Einwilligungsfähigkeit des Kindes aufgeschoben werden kann, können die Eltern über die Operation entscheiden, jedoch nur unter Einwilligung eines Familiengerichts. Das Gericht soll in diesen Fällen zukünftig auf Grundlage einer Stellungnahme einer interdisziplinären Kommission entscheiden, die unter anderem aus der das Kind behandelnden ärztlichen Person sowie einer Person mit kinder- und jugendpsychotherapeutischer Qualifikation besteht.

Wenn ein einwilligungsfähiges Kind einen Eingriff selbst wünscht, kann dieser ebenfalls durchgeführt werden. Die Abgrenzung des einwilligungsfähigen vom nicht einwilligungsfähigen Kind erfolgt wie allgemein bei medizinischen Behandlungen ohne Festlegung einer gesetzlichen Altersgrenze im konkreten Einzelfall auch unter Berücksichtigung des Entwicklungsstandes des Kindes bezüglich der Wahrnehmung und Reflektion seiner eigenen geschlechtlichen Identität und wird von den Eltern und dem Behandelnden festgestellt.

Das „Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ ist ein überfälliger und richtiger Schritt zum Schutz von intergeschlechtlichen Kindern, es bleibt jedoch noch abzuwarten, ob und in welcher Konsequenz es im Einzelfall tatsächlich Anwendung findet. Die Bundesregierung hat sich im Gesetz selbst verpflichtet, die Wirksamkeit der neuen Regelungen nach fünf Jahren zu überprüfen und dem Bundestag einen entsprechenden Evaluationsbericht vorzulegen. 


[1] Hoenes, Josch; Januschke, Eugen; Klöppel, Ulrike (2019): Häufigkeit normangleichender Operationen „uneindeutiger“ Genitalien im Kindesalter. Follow Up-Studie. Berlin: Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien.

[2] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode (2018). S. 21, 797-799.

Mit der Einführung des Personenstands „divers“ sind konkrete Maßnahmen der Antidiskriminierung von inter* Personen auch im Arbeits- und Berufsleben rechtlich geboten. In der Umsetzung von diskriminierungssensiblen Strategien fehlt es dabei jedoch häufig (noch) an konkreten Handlungsempfehlungen und entsprechender Unterstützung bei der praktischen Einführung. Unterstützung könnte etwa in Form von Sprachvorlagen für geschlechtsneutrale E-Mail-Anreden oder Vorschläge für den Umgang mit bisher geschlechtlich getrennter Dienstkleidung geboten werden. Zusätzlich herrscht große Rechtsunsicherheit, wie sich der Personenstand auch auf bisher binär verfahrende rechtliche Regelungen wie zum Beispiel auf den „Mutterschutz“ oder auch auf Formen der sogenannten positiven Diskriminierung etwa durch eine „Frauenquote“ auswirkt.

Die Landeskoordination Inter* NRW hat in Kooperation mit der Landeskoordination Inter* Niedersachsen eine Checkliste für den Arbeitsalltag erstellt.


Die Publikation hat dem Titel “Divers” und jetzt?!. Darin werden Grundlagen zu Intergeschlechtlichkeit, der rechtlichen Lage sowie hilfreiche Tipps vermittelt, wie ein Bewerbungsverfahren und die Zeit während der Beschäftigung inklusiver für inter* Menschen gestaltet werden können.

Die Checkliste kann ab sofort heruntergeladen und über die LaKo Inter* bestellt werden.

Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat 2020 zwei Studien veröffentlicht, die umfangreich über das Thema Inter* im Arbeits- und Berufsleben informieren, Problemfelder identifizieren und konkrete Handlungsempfehlungen formulieren.

„Geschlechterdiversität in Beschäftigung und Beruf – Bedarfe und Umsetzungsmöglichkeiten von Antidiskriminierung für Arbeitgeber_innen“ (2020)

Diese Publikation richtet sich explizit an Arbeitgeber*innen und vermittelt konkrete Handlungsempfehlungen, wie der Arbeitsplatz möglichst diskriminierungssensibel gestaltet werden kann.Die Studie identifiziert auf Grundlage des gegenwärtigen Forschungsstandes und anhand von Expert*innen-Interviews verschiedene Handlungsbereiche zur Antidiskriminierung von intergeschlechtlichen Menschen im Berufsleben und zeigt dann konkrete Möglichkeiten zur Umsetzung für Arbeitgeber*innen auf. In insgesamt 26 Bausteinen zu den Themenfeldern Betriebskultur, Personalgewinnung, Umgang mit geschlechtsbezogenen Daten, Sprache und Kommunikation, Sanitäranlagen sowie Körper, Kleidung und Gesundheit werden praktische Handlungsempfehlungen für die Berufspraxis formuliert, die die Anerkennung und Implementierung geschlechtlicher Vielfalt im Arbeitsleben ermöglichen sollen. Zusätzlich verweist die Publikation auf bundesweite Beratungsstellen und weitere Ressourcen wie etwa Sprachleitfäden und zusätzliches Infomaterial zur Aufklärung und Sensibilisierung. Hier können Sie die Studie bestellen oder als PDF-Datei herunterladen.

„Jenseits von männlich und weiblich – Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung im Arbeitsrecht und öffentlichen Dienstrecht des Bundes“ (2020)

Diese zweite Publikation unter dem Titel klärt über die rechtlichen Konsequenzen des Personenstandes in Hinblick auf Arbeitsreicht und Recht des öffentlichen Dienstes auf. Da beide Rechtsgebiete bisher einem binären Geschlechtsmodell folgen, wird in der Studie herausgearbeitet, welche Bereiche des Rechts auch für intergeschlechtliche Menschen mit einem diversen Geschlechtseintrag anwendbar sind und in welchen Bereichen die Gesetzgebung zukünftig noch Klarstellung schaffen muss. Hierzu wird der konkrete Anpassungsbedarf verschiedener Vorschriften benannt, für die Geschlecht als Tatbestandsmerkmal von Relevanz ist (wie z.B. Regelungen zum „Mutterschutz“). Berücksichtigt wird in der Analyse nicht nur das deutsche Verfassungsrecht, sondern auch das Recht der Europäischen Union, das in Bezug auf geschlechtsbezogene Diskriminierung am Arbeitsplatz eine zentrale Rolle einnimmt. Hier können Sie die Studie bestellen oder als PDF-Datei herunterladen.

Auch das Institut für Diversity- und Antidiskriminierungsforschung (IDA) hat zwei Studien zum Thema inter* am Arbeitsplatz veröffentlicht.

„Inter* im Office?! – Die Arbeitssituation von inter* Personen in Deutschland unter differenzieller Perspektive zu (endo*) LSBT*Q+ Personen“ (2020)

Diese Studie hatte die Zielsetzung, die Arbeitssituation von inter* Personen zu untersuchen und mit den Erfahrungen von endogeschlechtlichen LSBT-Personen zu vergleichen. Dazu wurden 32 inter* Beschäftigte und 1223 endo* LSBT-Beschäftigte zu ihrer Arbeitssituation und Diskriminierungserfahrungen am Arbeitsplatz befragt. Zentrale Ergebnisse der Studie sind etwa, dass alle befragten Gruppen nach wie vor mit Feindlichkeit und Diskriminierung am Arbeitsplatz konfrontiert sind. Die Diskriminierung fiel jedoch bei inter* Personen und trans* und/oder nicht-binären Personen, die (eher) als abweichend von einer binären Geschlechternorm gelesen werden, noch stärker aus. Hier können Sie die Studie bestellen oder als PDF-Datei herunterladen.

„Out im Office! Out vor Kunden_innen“ (2021)

In dieser Studie wurde noch spezifischer nach dem Umgang von LSBTI-Personen mit der eigenen sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität im Kund*innen-Kontakt am Arbeitsplatz gefragt. Dazu wurden 1012 LSBTI-Personen, davon 25 inter* Personen, zu ihren Erfahrungen im Umgang mit Kund*innen befragt. Zentrale Ergebnisse der Studie sind, dass ein offener Umgang mit der eigenen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität im Kund*innen-Kontakt von den Befragten seltener gepflegt wird als etwa im Kontakt mit Kolleg*innen oder Vorgesetzten und dass zwischen einem Fünftel und einem Drittel der Befragten angaben, bereits Diskriminierungserfahrung im Umgang mit Kund*innen gemacht zu haben. Hier können Sie die Studie bestellen oder als PDF-Datei herunterladen.

Intergeschlechtlichkeit bezeichnet generell angeborene körperliche Merkmale, die nicht in die binäre gesellschaftliche Norm von männlich und weiblich passen. Das kann auf genetischer, hormoneller oder anatomischer Ebene sein.

Die Intergeschlechtlichkeit eines Menschen kann sich schon kurz nach der Geburt, im Kleinkindalter oder in der Pubertät zeigen. Manchmal bleibt sie auch unentdeckt.

Inter* hat viele Namen. Wenn Sie mehr über Begriffe und Namen wissen wollen, schauen Sie doch in unser Glossar.

Wie viele intergeschlechtliche Menschen gibt es?

Diese Frage ist schwer zu beantworten. Es gibt keine offizielle Statistik in Deutschland, welche die Zahl der inter* Personen dokumentiert. Außerdem wird auch immer wieder darum gestritten, was als intergeschlechtlich, männlich oder weiblich gilt. Wissenschaftliche Schätzungen hinsichtlich des prozentualen Anteils von inter*Menschen an der Gesamtbevölkerung liegen zwischen 0,02 und 1,7 Prozent.

Zum Vergleich gibt es in Deutschland

  • fast so viele Zwillinge wie inter* Kinder.[1]
  • etwa so viele rothaarige Menschen wie intergeschlechtliche Menschen.[2]

Intergeschlechtlichkeit ist also nicht so selten, wie man denkt. Sie ist allerdings durch die lange währende Tabuisierung des Themas nicht so bekannt.

Variationen der geschlechtlichen Entwicklung sind keine Krankheit

Intergeschlechtlichkeit ist keine Krankheit und schränkt die Gesundheit in der Regel nicht ein. Manche Variationen können allerdings mit spezifischen Gesundheitsrisiken einhergehen. Die Medizin drückt sich in Diagnosen aus und verwendet für Intergeschlechtlichkeit den Sammelbegriff „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ (im Englischen: DSD (Disorders/Differences of Sex Development). Der Begriff DSD wird von Verbänden und Aktivist*innen jedoch kritisiert, da er den Eindruck vermittelt, etwas sei mit dem Körper von intergeschlechtlichen Menschen nicht richtig, sondern er sei „gestört“ und müsse daher behandelt werden.

Muss Intergeschlechtlichkeit behandelt werden?

Nein. Die Intergeschlechtlichkeit an sich ist nicht behandlungsbedürftig. Da ein intergeschlechtlicher Körper aber ganz verschieden aussehen kann, ist es wichtig, ihn gut zu kennen und auch zu wissen, was für Versorgungsleistungen im Einzelfall zustehen. Leider werden bis heute auch immer noch kosmetische Operationen angeboten, die die Gesundheit nicht verbessern, sondern im Gegenteil, die Gesundheit einschränken können.[3] Informationen um die Diskussion zu Menschenrechten finden Sie hier. Mehr zum Thema Gesundheit finden Sie hier.

Die FUMA Fachstelle Gender & Diversität haben in ihrem Projekt #BIT auch ein Erklärvideo zu Inter* gemacht. Schauen Sie sich das gerne mal an:


[1] 2017 kam es bei 1,8% der Geburten in Deutschland zu Zwillings- bzw. Mehrlingsgeburten (Statistisches Bundesamt).

[2] Etwa 1–2 % der Menschen in Deutschland haben naturrote Haare.

[3] Vgl. Schweizer, Katinka; Richter-Appelt, Hertha (2012): Die Hamburger Studie zur Intersexualität. In: Schweizer, Katinka; Richter-Appelt, Hertha: Intersexualität kontrovers. Gießen: psychosozial Verlag. S. 187-205.

Von Andreas Hechler (Bildungsreferent, Berlin)

In diesem Text wird sich vor allem mit den Voraussetzungen für unterstützende pädagogische Arbeit auseinandergesetzt.

Wie Intergeschlechtlichkeit in Bildung und Lehre integriert werden kann, finden Sie hier. Wir haben zudem auch Dos und Don‘ts für Lehrkräfte und Pädogog*innen zusammengestellt.

1. Pädagogik und Intergeschlechtlichkeit

In unserer Gesellschaft ist der Bildungs- und Erziehungsbereich wesentlich an der Formung von Geschlechterverständnissen beteiligt und wirkt bislang an der Unsichtbarkeit intergeschlechtlicher Personen systematisch mit. Es gibt in der Pädagogik, Erziehung, Bildung und sozialen Arbeit nach wie vor kaum Literatur und Material zum Thema Intergeschlechtlichkeit. Es wird, wenn überhaupt, als „Spezial-“, „Rand-“ und/oder „Minderheitenthema“ gesehen.

Das dominante Wissensfeld, in dem Intergeschlechtlichkeit verhandelt wird, ist nach wie vor die Medizin. Aber auch Mediziner*innen und andere Berufsgruppen, die mit Intergeschlechtlichkeit zu tun haben (Jurist*innen, Politiker*innen, Pflegepersonal, …), durchlaufen Bildungsinstitutionen. Zugleich gibt es auch in Bildungsinstitutionen intergeschlechtliche Menschen – als Lehrende/Pädagog*innen und als Lernende/Teilnehmende.

Von daher gilt es:

1. Lernen über Intergeschlechtlichkeit zu ermöglichen (sensibilisieren, Selbstreflexion anregen, eigene Werte reflektieren, Wissen vermitteln, Handlungssicherheit herstellen);

2. zu fragen, wie die Unterstützung intergeschlechtlicher Menschen in pädagogischen Feldern aussehen kann und;

3. Eltern und familiäre Umfelder von Inter* zu unterstützen.

Kernziel wäre in allen drei Fällen dazu beizutragen, dass Intergeschlechtlichkeit angst- und diskriminierungsfrei gelebt werden kann.

In einem größeren Rahmen geht es einer Pädagogik der Vielfalt um Inklusion und Anerkennung des Anderen – in diesem Fall Inter* – in der Differenz und die Akzeptanz menschlicher Vielfalt im Allgemeinen und menschlicher Körper im Besonderen.

2. Voraussetzungen

Die Ausführungen dieses Teils richten sich an endogeschlechtliche Fachkräfte, also Menschen die in die medizinische Definition von männlich oder weiblich passen.

Bei intergeschlechtlichen Fachkräften kann davon ausgegangen werden, dass sie die im Folgenden ausgeführten Voraussetzungen erfüllen.

Eigenes Lernen und Selbstreflexion

Soll ein Lernen über Intergeschlechtlichkeit ermöglicht werden, sind die primäre Zielgruppe zunächst die Lehrenden/Pädagog*innen selbst. Es geht darum, sich von vertrauten Wahrnehmungs- und Denkgewohnheiten zu lösen, den Blick umzukehren von anderen (der Zielgruppe/Schüler*innen/Teilnehmenden /dem behandelten Thema/Inter*, …) auf sich selbst, autobiografisch zu arbeiten und sich selbstreflexiv die eigene geschlechtliche Gewordenheit und die daran gekoppelten Vorstellungen von Geschlecht zu vergegenwärtigen. Hierbei geht es mitnichten nur um eine rein kognitive Auseinandersetzung, sondern auch um emotional-psychische Lern- und Veränderungsprozesse.

Bleibt dieser notwendige Schritt aus, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass pädagogische Fachkräfte ihre Themen mit Geschlecht in externalisierender Weise an Inter* abhandeln. Es ist leider nach wie vor so, dass die Vielfalt menschlicher Körper, Existenz- und Verhaltensweisen, die im Zweigeschlechtersystem nicht aufgehen (können), bei vielen „Männern“ und „Frauen“ eine Identitätskrise nach der nächsten auszulösen scheint, die mit verdeckter bis offener Aggression denjenigen gegenüber abgewehrt wird, die von der Norm „zu weit“ entfernt sind.

Es ist sinnvoll, andere Personen um Begleitung in dieser Auseinandersetzung zu bitten bzw. sich Menschen zu suchen, die diese Auseinandersetzung schon länger führen und von ihnen zu lernen. Erst wenn dem Blickregime der „Normalen“ auf „abnorm“ konstruierte Körper ein Spiegel vorgehalten und sich von dem Wunsch gelöst wurde, über das Geschlecht eines anderen Menschen bestimmen zu wollen,

– kann ein unterstützender Kontakt mit intergeschlechtlichen Menschen möglich sein;

– können andere Menschen (die eigenen Zielgruppen) in dieser Auseinandersetzung begleitet werden.

Ziel ist nicht „Toleranz“ für eine kleine Minderheit, sondern die eben skizzierte selbstreflexive Auseinandersetzung eigener Vorstellungen, Existenz- und Verhaltensweisen mit einer grundsätzlichen Infragestellung von Norm und Abweichung, schlussendlich also die Erkenntnis, dass man selbst „verschieden“ ist. Dieser Prozess ist lebenslang – auch als lehrende Person bleibt man lernend und es ist sinnvoll, dies als Selbstbild zu inkorporieren. Die damit einhergehende Selbstsicherheit minimiert die Angst vor „anderen“ geschlechtlichen Gewordenheiten und Existenzweisen.

Aneignung von Wissen

Um lehren zu können und auch für die eigene Auseinandersetzung, ist es ebenso notwendig, sich Wissen anzueignen. Dazu gehören zumindest rudimentäre Grundlagen aktueller Geschlechtertheorie, Medizin- und Rechtskritik und insbesondere das Zuhören der Erzählungen und Analysen intergeschlechtlicher Menschen – live, in Form von Texten, biografischen Berichten, Dokumentationen, Clips und anderen Medienbeiträgen. U. a. sollte verstanden werden, dass

  • beim Lehren und Lernen über Intergeschlechtlichkeit der gesellschaftliche Umgang mit Inter* im Vordergrund steht und nicht etwa individuelle Diagnosen oder Krankheitsbilder;
  • die „Normalisierung“ von Aussehen Hand in Hand mit der Stigmatisierung von Differenz geht;
  • der Präventionsgedanke der Medizin (Eingriffe, damit das Kind später keine Probleme hat) Unsinn ist – vielmehr schaffen die Eingriffe überhaupt erst die Probleme;
  • die große Mehrheit intergeschlechtlicher Menschen, die ohne geschlechtsverändernde Eingriffe aufwuchs, gesund ist;
  • Kinder/Jugendliche/Erwachsene immer noch intergeschlechtlich sind, selbst wenn es noch so viele „normalisierende“ Eingriffe durch die Medizin gegeben hat;
  • sich Intergeschlechtlichkeit pränatal, direkt nach der Geburt, in der Pubertät oder auch nach der Pubertät zeigen kann;
  • die zentrale Forderung intergeschlechtlicher Organisationen die nach einem Verbot bis zur Volljährigkeit von irreversiblen ärztlichen Eingriffen ist, die die Veränderung der angeborenen geschlechtlichen Merkmale oder der Fortpflanzungsfunktion des Kindes zur Folge haben;
  • es weder um Transgeschlechtlichkeit noch um sexuelle Vielfalt geht und Toilettenfragen, der dritte Geschlechtseintrag etc. im Vergleich zur zuvor genannten Kernforderung nachrangig sind;
  • Tabuisierung Scham produziert;
  • es auch um die eigene Sprache und verwendete Begriffe geht; nicht als Selbstzweck, Kosmetik oder Erfüllung von Codes, sondern aus einer Haltung der Vielfalt wird als logische Konsequenz eine Sprache der Vielfalt.

(Diese Aufzählung ist notwendigerweise unvollständig.)

Genaueres zu Inter* in der Lehre findet sich hier. Wir haben zudem Dos und Don´ts für pädagogische Fachkräfte zusammengestellt.

3. Haltung

Pädagogische Fachkräfte sind als Verbündete von intergeschlechtlichen Menschen gefragt. Zentrale Botschaft und innere Haltung sollten sein: „Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst.“ Kommt es zu einem Outing, ist es wichtig zu verstehen, dass man von vielen anderen als Vertrauensperson ausgewählt wurde und diesbezüglich Verantwortung trägt.

Zugleich sollte verkraftet werden, wenn man nicht nach Unterstützung gefragt wird.

Darüber hinaus sind folgende Tätigkeiten und Aspekte von Relevanz:

Begleiten

Die vielleicht wichtigste Tätigkeit pädagogischen Handelns überhaupt ist die Begleitung. Gemeinsam werden mit Kindern und Jugendlichen ihre Vorstellungen vom eigenen Weg reflektiert und sie werden in diesem begleitet – dies trifft sowohl auf inter- als auch endogeschlechtliche Kinder und Jugendliche zu.

Empathie, Annahme und Aufklärung

Vielen inter* Menschen ist ein Übermaß an Pathologisierung, medizinischer und sozialer Gewalt als auch Leugnung und Bagatellisierung dieser Gewalt widerfahren – zum Teil mit tiefgreifenden Folgen (Traumatisierung, Entfremdung, innerfamiliäre Tabuisierung, Verunsicherung, Einsamkeit etc.). Im Kern geht es daher um Empathie und Verständnis für das Widerfahrene und die Schaffung nicht-pathologisierender Räume, in denen zentrale Werte wie Selbstakzeptanz, Überwindung der Isolation durch Austausch mit Anderen in ähnlichen Situationen (Peer-Ansatz) und Wahrhaftigkeit (im Gegensatz zur Tabuisierung, Falschinformationen und dem Schweigen) gelebt werden können.

In geeigneten Situationen kann darüber aufgeklärt werden, was Inter* sind: Ganz gewöhnliche Individuen, die vollkommen okay sind, die glücklich und zufrieden sein dürfen und sollen und die in bestimmten Aspekten von einer zweigeschlechtlichen Körpernorm abweichen. Dies hat den wichtigen Effekt, dass das Schweigetabu, die Geheimhaltung und das systematische Lügen durchbrochen werden. Im besten Fall findet eine Entlastung durch Erklärung gesellschaftlicher Verhältnisse statt, indem vermittelt werden kann, dass nicht sie das „Problem“ sind, sondern dass es diese Gesellschaft selbst ist, die an der Vielfalt menschlicher Körper und Geschlechter scheitert.

Definitionsmacht

Die Definitionsmacht darüber, wer eine Person ist und wer sie*er sein möchte, ist ohne Einschränkungen in die Hände von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen selbst zu legen. Es ist ganz prinzipiell bei allen Menschen darauf zu achten, dass diese sich ihr Geschlecht selbst wählen dürfen, und zwar jederzeit, und auch immer wieder neu. Weder die Eltern(teile) noch Mediziner*innen noch Jurist*innen sollten das Geschlecht eines Kindes definieren und festlegen. Die eigentlichen Expert*innen sind die jeweiligen Menschen selbst, und ihnen muss Entscheidungsmacht über ihr Leben zurückgegeben werden. Das ist auch genauso gegenüber allen zu vertreten.

Diese Haltung ist auch gegenüber pädagogischen Institutionen anzuraten, in denen nach wie vor allzu oft genau beobachtet wird, ob die Geschlechtsentwicklung bei (inter*) Kindern „normal“ verläuft, d. h., ob diese sich traditionell „männlich“ oder „weiblich“ verhalten, spielen, anziehen und reden. Die permanente Angst, das Kind könnte sich „untypisch“ verhalten und der damit einhergehende Druck, werden durch die Verschiebung der Definitionsmacht auf die Kinder/Jugendlichen aufgelöst, was nicht nur für inter* Kinder / -Jugendliche, sondern auch für die gesamten Umfelder (Eltern, Ärzt*innen, Peers, …) eine wichtige Entlastung schafft.

Schutz bieten und Position beziehen!

Sowohl aus der Neonazismusprävention als auch aus der Begleitforschung zu LSBTQIA+-Aufklärungsprojekten ist bekannt, dass diskriminierende Einstellungen von Kindern und Jugendlichen abnehmen, je deutlicher pädagogische Fachkräfte Position gegen Diskriminierung beziehen.

In Fällen von Übergriffen ist von pädagogisch Tätigen Schutz zu gewährleisten. Dies erstreckt sich nicht nur auf Beleidigungen, Angriffe, Bullying, Mobbing und dergleichen, sondern auch auf medizinische Eingriffe und Verletzungen der Intimsphäre, sofern diese noch stattfinden – hier sollte auf einen Stopp der Ärzt*innenbesuche gedrängt und bei Bedarf bei der Suche nach Alternativen unterstützt werden.

Es darf auf gar keinen Fall (!) zu ungewollten Outings kommen oder gar zum Zwang, etwas über sich erzählen zu müssen. Wenn sich eine intergeschlechtliche Person Ihnen gegenüber öffnet, besprechen Sie Unterstützungswünsche und -möglichkeiten. Nehmen Sie dabei Selbstbestimmungswünsche sehr ernst, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass sehr vielen inter* Menschen Selbstbestimmung häufig in extremer Weise unmöglich gemacht wurde.

Wenn ein*e Inter* Lust hat, etwas zu seinem*ihrem Körper, OPs, Sexleben und dergleichen zu erzählen, wird er*sie das tun – danach zu fragen ist nicht okay! Okay und wichtig ist hingegen, darüber aufzuklären, dass derartige sensationslüsterne Fragen oft übergriffig sind.

Peer-Kontakte und Empowerment fördern

Pädagogisch Tätige, die selbst nicht intergeschlechtlich sind, sollten darauf hinarbeiten, dass intergeschlechtliche Kinder und Jugendliche, für die sie eine Verantwortung haben, Kontakt zu anderen intergeschlechtlichen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bekommen. Inter*-Peergroups, Pat*innen, Unterstützungs- und Selbstorganisationen sollten ausfindig gemacht und Treffen ermöglicht werden. Von sehr vielen inter* Menschen wird das Kennenlernen von anderen inter* Menschen als enorm wichtiger, stärkender und hilfreicher Selbstermächtigungsprozess beschrieben. Eine besondere Bedeutung für Vernetzung haben in dieser Hinsicht auch Online-Communities.

Derartige Kontakte und Selbstorganisierungen können nicht nur dazu beitragen, dass intergeschlechtliche Menschen enorm gestärkt werden, sondern auch dazu, dass sie sich überhaupt erst voll und ganz als Inter* begreifen (lernen). Dies ist zumeist ein langer Weg, erschwert doch die Verhinderung des ursprünglichen Körpers und die immer wiederkehrende Frage „Was wäre wenn, …“ einen positiven Bezug auf Intergeschlechtlichkeit.

Erfolgt kein Kontakt zu inter* Communities, werden Vereinzelung und Einsamkeitsgefühle bewusst in Kauf genommen.

Fehlerfreundlichkeit mit sich selbst

Ansonsten gilt, wie sonst auch: Wohlwollen mit sich selbst. Widerspruchsfreies Handeln ist nur selten möglich und die Grenzen zwischen gut gemeint und nicht so gut gemacht sind oft fließend und lassen sich individuell nicht aufheben; sind also kein persönliches Versagen, sondern strukturell angelegt. Dies betrifft beispielsweise die Beschäftigung mit Intergeschlechtlichkeit, die einerseits „total spannend“ sein kann und andererseits exotisierend oder die Beschreibung von Diskriminierungen und Unrecht einerseits und der Produktion von Opferidentitäten andererseits. Diese Dilemmata auszuhalten und sinnvoll zu navigieren ist besser, als sie nach einer Seite hin aufzulösen und sich damit selbst handlungsunfähig zu machen und das Thema Intergeschlechtlichkeit als „zu kompliziert“ zu verwerfen.

4. Eltern-/Familienarbeit

Pädagogik heißt häufig auch Elternarbeit. Mit Blick auf Studien zu transgeschlechtlichen, homo- und bisexuellen Jugendlichen kann davon ausgegangen werden, dass die elterliche und familiäre Akzeptanz und Unterstützung auch für intergeschlechtliche Kinder und Jugendliche von großer Wichtigkeit sind. Zugleich gibt es bislang kaum professionelle Unterstützungsangebote – weder für Inter* selbst noch für Eltern, andere Verwandte oder nahe Bezugspersonen. Sozial(pädagogisch)e, erzieherische und Bildungsarbeit sollte hier – wie sonst auch – die familiären Umfelder in die Arbeit mit einbeziehen.

Eltern sind als Verbündete und Anwält*innen ihrer intergeschlechtlichen Kinder gefragt – das sollte ihnen verdeutlicht werden. Zugleich sind sie diejenigen, die hierfür Unterstützung benötigen. Viele Eltern intergeschlechtlicher Kinder fühlen sich alleine gelassen und benötigen Stärkung. Es ist sinnvoll, wenn sich Eltern ein Unterstützungsnetzwerk aufbauen, insbesondere mit anderen Eltern, die ein intergeschlechtliches Kind haben.

Eltern intergeschlechtlicher Kinder sollten u.a.

  • wissen, dass sie Zeit haben. Sie sollten sich nicht von Ärzt*innen zu schnellen und irreversiblen medizinischen Maßnahmen drängen lassen.
  • sicherstellen, dass die Entscheidungen, die sie heute treffen, dem Kind offen und ehrlich kommuniziert werden können, wenn es älter ist.
  • wissen, dass das Verheimlichen von Informationen über den Körper des Kindes vor diesem die Eltern-Kind-Beziehung schwer belasten kann.
  • umfassende Informationen über Patient*innenrechte und die intergeschlechtlichen Merkmale des Kindes einholen.
  • jede Untersuchung und jedes Gespräch mit Professionellen dokumentieren.

Mehr Informationen für Eltern finden sich – leider nur auf Englisch – in dem Text I am a parent / friend.

… gratulieren wir Ihnen zunächst einmal zu Ihrem wundervollen Kind!

Aufregend ist wohl jede Geburt für die Eltern, und insbesondere die Geburt des ersten Kindes kann den Eltern u. a. Gefühle von Unsicherheit und Überforderung bereiten. Die Information, dass das Kind nicht klar als Junge oder Mädchen einzuordnen ist, überrascht und erschreckt die Eltern häufig zunächst. Schließlich kennen nach wie vor nicht alle die Möglichkeit der Intergeschlechtlichkeit. Damit rechnet man nicht.

Sich nach der Mitteilung verunsichert zu fühlen, ist vollkommen in Ordnung. Denn das Leben mit einem intergeschlechtlichen Kind ist erst einmal etwas Neues und es gibt einige Fragen, die im Leben des Kindes und der Eltern wichtig werden können. Sie sind nicht allein damit.

Für Eltern stellen sich nun vielleicht Fragen, was die Variation der geschlechtlichen Entwicklung überhaupt bedeutet. Von Mediziner*innen wurde Ihnen wahrscheinlich eine Diagnose genannt, und vielleicht fragen Sie sich nun, wie das Leben als intergeschlechtlicher Mensch aussehen kann. Wir haben daher einige Videos und Interviews mit und von intergeschlechtlichen Menschen und auch von Eltern zusammengestellt. Wenn Sie sich persönlich austauschen wollen, finden Sie auf unserer Seite auch Hinweise zu Beratungsmöglichkeiten.

Als Einstieg können wir das Video des Regenbogenportals des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend empfehlen.

Wir sind der festen Überzeugung, dass ein offener Umgang mit Ihrem Kind das Gesündeste für alle Beteiligten ist. Sollten Sie sich dazu entscheiden, Ihr Kind als Mädchen oder Jungen zu erziehen, ist das natürlich in Ordnung. Bleiben Sie aber für die Möglichkeit offen, dass sich Ihr Kind im Laufe des Heranwachsens einem anderen Geschlecht zugehörig fühlen könnte. Kinder äußern schon früh, was ihnen gefällt und was nicht. Hören Sie aufmerksam zu.

Um Kindern die Thematik von Intergeschlechtlichkeit zu vermitteln und sie erkennen zu lassen, dass es noch andere Kinder wie sie gibt, sind Kinderbücher ein wunderbares Medium. Hier haben wir eine Auswahl von Büchern für Sie, die Intergeschlechtlichkeit beinhalten. Zu den Themen geschlechtlicher Vielfalt, der Individualität von Kindern generell und auch zu sexueller Vielfalt gibt es eine noch längere Liste. Hilfreich können auch Geschichten erwachsener Vorbilder sein.

Auf dieser Seite wollen wir Sie unterstützen, indem wir Informationen rund ums Thema Intergeschlechtlichkeit bereitstellen. Denn richtig informiert zu sein, ist der erste wesentliche Schritt, um das Beste für Ihr Kind tun zu können und Ihren Sorgen entgegen zu wirken. Wussten Sie z. B., dass es in Deutschland fast so viele Zwillinge wie inter* Kinder gibt?[1] Und in etwa so viele rothaarige wie intergeschlechtliche Menschen?[2]

Stöbern Sie gerne durch diese Webseite, wie es Ihnen gefällt. Sie wählen aus, welche Texte Sie (zuerst) lesen wollen.


[1] 2017 kam es bei 1,8% Geburten in Deutschland zu Zwillings- bzw. Mehrlingsgeburten (Statistisches Bundesamt).

[2] Etwa 1–2 % der Menschen in Deutschland haben naturrote Haare (http://www.haar-und-psychologie.de/haarfarben/haarfarben_statistik_deutschland.html).

Wenn Sie durch Ihren Beruf als Journalist*in oder Medienmacher*in in der Position sind, über Intergeschlechtlichkeit zu berichten, sollten Sie auf einige Dinge achten. Die Wichtigsten haben wir hier für Sie zusammengestellt.

Sprechen mit – statt sprechen über

Intergeschlechtliche Menschen können Ihnen selbst am besten erklären, welche Aspekte für sie relevant sind und wie sie sich und ihre Anliegen repräsentiert sehen wollen. Informieren Sie sich bei Organisationen intergeschlechtlicher Menschen darüber, welche Begriffe verwendet werden, welche Forderungen formuliert werden und welche Themen für intergeschlechtliche Menschen besonders relevant sind. Sprechen Sie nicht über intergeschlechtliche Menschen, sondern mit ihnen.

Auch wenn viele Menschen Fragen zu den vielfach diskutierten All-Gender-Toiletten oder dem Personenstandsrecht haben, sind diese Themen für intergeschlechtliche Personen oft weniger relevant als zum Beispiel ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit und gesellschaftliche Anerkennung.

Begriffe und ihre Wirkung

Vermeiden Sie negativ konnotierte Begriffe wie „Störung“, „Defekt“ oder „Fehlbildung“ und vermeiden Sie wertende Angaben wie „uneindeutig“, „zu klein/zu groß“ oder „untypisch“. Solche Begriffe bestärken die Idee, dass es vor allem „Männer“ und „Frauen“ gibt und Intergeschlechtlichkeit damit etwas Defizitäres oder Unnatürliches ist.

  • Verwenden Sie stattdessen Begriffe wie „geschlechtliche Diversität“ oder „Variation der Geschlechtermerkmale“; hinterfragen Sie die Norm der Zweigeschlechtlichkeit!

Vergleiche

Vermeiden Sie Vergleiche oder Verwechslungen mit Transgeschlechtlichkeit oder Homosexualität.

  • Machen Sie deutlich, dass die Intergeschlechtlichkeit eines Menschen eine angeborene körperliche Eigenschaft ist. Sie gibt noch keinen Aufschluss über die Geschlechtsidentität oder die sexuelle Orientierung eines Menschen.

Vermeiden Sie außerdem Vergleiche mit anderen Kulturen, mystischen Gestalten oder der Tierwelt, um Intergeschlechtlichkeit auf diese Art zu „naturalisieren“. Dadurch vermitteln Sie, dass Intergeschlechtlichkeit etwas „Exotisches“ oder „Mystisches“ ist und nichts mit der Realität zu tun hat.

  • Erklären Sie stattdessen, welche Anliegen und Bedarfe intergeschlechtliche Menschen hier, jetzt und heute formulieren.

Anerkennung statt Verharmlosung

Vermeiden Sie eine Verharmlosung von Menschenrechtsverletzungen, die an intergeschlechtlichen Personen begangen werden.

  • Machen Sie deutlich, dass es sich bei nicht-eingewilligten Operationen um Menschenrechtsverletzungen handelt, die an Menschen aufgrund falscher Überzeugungen oder fehlender Aufklärung der Medizin verübt werden. Vermeiden Sie aber gleichzeitig eine einseitige Darstellung von intergeschlechtlichen Personen ausschließlich als Opfer.

Die Vereinten Nationen schätzen, dass bis zu 1,7 % der Menschen intergeschlechtlich sind. Eine Zahl, die sich medial noch nicht widerspiegelt. Bedenken Sie also, dass Sie durch eine inklusive und respektvolle Darstellung und Berichterstattung einen Beitrag leisten können, intergeschlechtliche Personen in ihren Anliegen und Bedarfen zu unterstützen und sichtbar zu machen.

Die Hinweise zur Darstellung von Intergeschlechtlichkeit in den Medien basieren auf den Überlegungen von Andreas Hechler. Hier finden Sie einen interessanten Beitrag, der die Probleme in der Berichterstattung über Intergeschlechtlichkeit pointiert und polemisch auf den Punkt bringt. Zudem könnten die Dos und Don’ts für Pädagog*innen auch für Sie interessant sein.

LaKo Inter* NRW

Die Landeskoordination Inter* (Lako Inter*) wird seit April 2021 als zweijähriges Pilotprojekt vom Land Nordrhein-Westfalen gefördert. Die Lako Inter* arbeitet als landesweite Fachstelle in Trägerschaft des Queeren Netzwerks NRW e. V. zur Unterstützung der Gruppen und Angebote von und für inter* Menschen in Nordrhein-Westfalen.

Das geschieht durch Vernetzung und Workshop-Angebote für inter* Menschen und weitere Interessierte. Der Aufbau von entsprechenden Selbsthilfegruppen und von Inter* Beratung in Kooperation mit Beratungsstellen wird fachlich unterstützt und von einer Steuerungsgruppe aus der inter* Community begleitet. Wissensvermittlung zum Thema Intergeschlechtlichkeit zur Stärkung der Sichtbarkeit von und Bildungsangeboten zu inter* Themen in der breiten Öffentlichkeit sind ebenfalls wichtige Themen und Aufgabe der Lako Inter*.
Die Landeskoordination mit Sitz in Köln in den Räumen des Queeren Netzwerk NRW e.V. ist gegenwärtig mit Flo Grisé besetzt.

Kontakt:
E-Mail: lako-inter@queeres-netzwerk.nrw
Telefon: +49 (0)221 – 35 65 65 70

Beratungsangebote

Eine niedergelassene Inter* Beratungsstelle gibt es in NRW derzeit nicht. Der Verein Intergeschlechtliche Menschen e.V. bietet allerdings aufsuchende Peer-Beratung an. Peer-Beratung bedeutet – kurz gesagt – Gleiche beraten Gleiche, das heißt, die Berater*innen sind selbst intergeschlechtlich oder sind Eltern eines intergeschlechtlichen Kindes. Sie sprechen aus eigener Erfahrung und können Sie auf Augenhöhe beraten.

Hier können Sie sich näher über das Angebot der Peer-Beratung informieren:

Verein Intergeschlechtliche Menschen e.V.  http://www.im-ev.de/
NRW-Landesverbandhttp://nrw.im-ev.de/

In NRW gibt es zudem die Familienselbsthilfegruppe Lila NRW, die sich regelmäßig in Köln trifft. Nähere Informationen dazu können Sie hier erfragen: E-Mail.

Auch auf der Website der Selbsthilfegruppe für Eltern und Familienangehörige intergeschlechtlicher Menschen gibt es Informationen zu persönlichen Treffen, zu Literatur und zu verschiedenen Themengebieten, rund um Intergeschlechtlichkeit. 

Mediziner*innen können zudem zu körperbezogenen Fragen beraten. Die Erfahrungen sind dabei sehr unterschiedlich. Wichtig ist, dass Sie sich gut beraten und wohl fühlen. Fragen Sie bei den Selbstorganisationen nach Erfahrungsberichten und suchen Sie sich eine*n Ärzt*in, der*dem Sie vertrauen.

Beratungsstellen, die sensibel für die Belange von intergeschlechtlichen Menschen sind, sind zudem:

Bochum (Rosa Strippe)

Die Rosa Strippe berät inter* Personen und deren Angehörige im Rahmen einer Erst- oder Clearingberatung. Dafür steht den Mitarbeitenden ein recherchierter Infopool mit Ansprechpersonen z. B. aus der Selbstorganisation oder dem Gesundheitswesen zur Verfügung. Die Rosa Strippe berät parteilich hinsichtlich des Schutzes und der Unversehrtheit von intergeschlechtlichen Kindern, Jugendlichen sowie Erwachsenen, affirmativ in Bezug auf geschlechtliche Vielfalt und mit Blick auf das Kindeswohl.

Köln (rubicon e.V.)

Im Rahmen der psychosozialen Beratung zu sexueller Orientierung, zur Gründung von Regenbogenfamilien und zu geschlechtlicher Selbstbestimmung berät rubicon e.V. auch intergeschlechtliche Menschen. Rubicon e.V. bietet keine Spezialberatung zu Inter* und übernimmt hier eher eine Lotsenfunktion und verweist z.B. an die Peer-Beratung des Vereins Intersexuelle Menschen e.V. Diese Weiterverweisung an die Peer-Beratung gilt insbesondere für inter* Personen in Coming-Out-Situationen sowie für Eltern von intergeschlechtlichen Kindern, die dort u. a. sehr viele Antworten auf medizinische Fragen erhalten können.

Münster (pro familia)

pro familia Münster berät inter* Personen, ihre Partner*innen, Familien und Freund*innen kompetent, einfühlsam und vertrauensvoll. Die Themen der Beratung können sein: Identität und Selbstbeschreibung; Körper, Coming Out, Beziehungen, Lokale Angebote, Diskriminierungserfahrungen, Sexualität, (unerfüllter) Kinderwunsch, Elternschaft von inter* Kindern.

Einige Beratungsstellen von pro familia in NRW:

pro familia Bielefeld

pro familia Köln-Zentrum

pro familia Mettmann

pro familia Oberhausen

pro familia Remscheid

pro familia Sankt Augustin

pro familia Witten

Weitere Informationen und (bundesweite) Angebote von Selbstorganisationen finden Sie hier: 

Diagnosespezifische Selbstorganisationenhttp://www.klinefelter.de/cms/
http://www.47xxy-klinefelter.de/
https://www.ags-initiative.de/
http://turner-syndrom.de/
OII (Organisation Intersex International)  https://oiigermany.org/
Antidiskriminierungsarbeit & Empowerment für Inter* https://interprojekt.wordpress.com/
Kampagne für eine Dritte Optionhttp://dritte-option.de/
DGTI (Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V.)https://www.dgti.org/

Es gibt außerdem einen von Wissenschaftler*innen aus Hamburg betriebenen Blog zum Thema Inter*, in dem Hinweise auf Literatur, Veranstaltungen oder auch Informationen zu geschlechtlicher Vielfalt zu finden sind: Blog Intersex kontrovers.

Auch die Vereinten Nationen (englisch “United Nations“) haben sich mit dem Thema Inter* befasst und eine Kampagne für mehr Aufklärung erstellt. Hier finden sich Videos, Stimmen von intergeschlechtlichen Menschen und Info-Blätter mit Fakten (“Fact Sheets“): Free & Equal (Intersex Awareness von den United Nations). (Englisch)

Angebote für inter* Jugendliche in NRW

Für inter* Jugendliche kann auch ein queerer Jugendtreff interessant sein. Mehr Informationen zu den Treffs in NRW finden Sie auf der Seite der Queeren Jugend NRW. Hier finden Sie auch Hinweise darauf, ob Belange von intergeschlechtlichen Jugendlichen mitgedacht und adressiert werden. Die Queere Jugend hat zudem eine Handreichung unter dem Titel „Superheld*innen gesucht: Empowerment für inter* Jugendliche. Eine Übersicht über Anlaufstellen und Beratungsangebote für intergeschlechtliche Jugendliche in NRW“ erstellt, die Sie hier abrufen oder über info@queere-jugendfachstelle.nrw bestellen können

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Von Andreas Hechler (Bildungsreferent, Berlin)

Hier finden Sie konkrete Hinweise, wie Sie inter* Kinder und Jugendliche in ihrer Bildungseinrichtung unterstützen und wie Sie das Thema in Ihre Arbeit einbinden können.

Mehr zur Haltung und Voraussetzungen zu geschlechterreflektierter Arbeit finden Sie hier. Wir haben zudem auch Dos und Don‘ts für Lehrkräfte und Pädagog*innen zusammengestellt.

Inter* in Bildungssettings

Inter* Kindern und Jugendlichen kann aus verschiedenen Gründen in Erziehungs- und Bildungseinrichtungen Diskriminierung widerfahren – auch wenn sie nicht geoutet sind. Auslöser können beispielsweise „untypische“ Pubertätsverläufe und körperliche Merkmale sein, erzwungenes Verstecken der eigenen Geschlechtlichkeit oder Fehlzeiten aufgrund von medizinischen Behandlungen. Zugleich kann die Resilienz, also die Widerstandskraft gegenüber Diskriminierung, aufgrund eines geringen Selbstbewusstseins und einer Tendenz zur Selbstisolation als Folgen medizinischer Eingriffe und gesellschaftlichem Schweigetabu minimiert sein. Dazu können mangelnde Identifikationsmöglichkeiten mit Peers kommen und ganz generell wenige Freundschaften. Dies alles kann zu enormem Stress, Verhaltensauffälligkeiten, massiven Mobbing- und Diskriminierungssituationen beitragen, zu Leistungseinbußen durch psychische Beeinträchtigungen und Schulausfall bis hin zum Schulabbruch führen.

Die genannten Schwierigkeiten haben zur Folge, dass intergeschlechtliche Menschen häufig unterdurchschnittlich abschneiden und ihre Potenziale nicht voll entwickeln können, was einen großen Einfluss auf den weiteren Bildungsweg und die Lebensplanung hat.

Es ist wichtig, diese Hintergründe zu verstehen und sich unmissverständlich und unterstützend an der Seite von Inter* zu positionieren. Diese Haltung sollte auch in der Arbeit mit Eltern vermittelt werden.

Empowerment UND Sensibilisierung

Lern- und sonstige Gruppen sind grundsätzlich heterogen, das gilt auch beim Thema Intergeschlechtlichkeit. Wenn keine geouteten inter* Personen anwesend sind – das dürfte die Regel sein – heißt das nicht, dass keine intergeschlechtlichen Menschen anwesend sind. Auf einer Haltungsebene sollte grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sowohl inter- als auch endogeschlechtliche Menschen (also Menschen, die nicht intergeschlechtlich sind) Teil von Lerngruppen und pädagogischen Settings sind.

Endogeschlechtliche Kinder und Jugendliche benötigen zumeist Sensibilisierung für das Thema Intergeschlechtlichkeit und eine Erweiterung ihres Wissens. Intergeschlechtliche Kinder und Jugendliche sind in aller Regel sensibilisiert – für sie können Empowerment-Angebote eine wichtige Ressource sein.

Die beiden Ansätze Sensibilisierung und Empowerment können gut zusammenpassen, es kann sich aber auch um ein Spannungsfeld handeln, das widersprüchlich und pädagogisch nicht einfach zu handhaben ist. In bestimmten Situationen kann es beispielsweise sinnvoll sein, Gruppen zu trennen, sofern es geoutete inter* Personen gibt. Das komplexe Spannungsfeld aus Unsichtbarkeitsdynamiken, Empowerment und Sensibilisierung wird in der Handreichung Pädagogik geschlechtlicher, amouröser und sexueller Vielfalt – Zwischen Sensibilisierung und Empowerment umfassend erörtert

Implizite Thematisierung von Intergeschlechtlichkeit

Intergeschlechtlichkeit kann implizit oder explizit thematisiert werden.

Bei impliziter Thematisierung werden inter* Personen als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft in Schrift und Bild dargestellt. Sie kommen als alltäglicher Teil gesellschaftlichen Lebens vor, ohne dass dies in positiver oder negativer Weise zum Thema wird und auch nicht nur dann, wenn es um Geschlechterthematiken geht.

Der impliziten Thematisierung von Intergeschlechtlichkeit muss häufig eine explizite zur Seite gestellt werden, da Intergeschlechtlichkeit implizit in aller Regel nicht vorkommt und die Unsichtbarmachung des Themas ansonsten ihre Fortsetzung fände.

Explizite Thematisierung von Intergeschlechtlichkeit

Bei der expliziten Thematisierung von Intergeschlechtlichkeit werden inter* Lebensweisen sichtbar gemacht und der gesellschaftliche Umgang mit Intergeschlechtlichkeit thematisiert. Dabei sind einige Aspekte zu beachten, die auf die generelle Schwierigkeit verweisen, zu Diskriminierung zu arbeiten, ohne dabei Diskriminierung zu reproduzieren.

1. Es sollte bei der Behandlung des Themas medizinisches/biologisches Wissen nicht am Anfang und nur in geringen Dosen in kritischer Absicht reproduziert werden. Es ist nur schwer möglich, mit dem medizinischen Modell der Syndrome und Pathologien inter* Personen anders als über diesen medizinischen Blick wahrzunehmen. Als Menschen mit ganz individuellen Interessen, Vorlieben, Erfahrungen und Lebensrealitäten geraten sie dadurch aus dem Blick.

2. Mit dem Argument des letzten Satzes sollten inter* Körper auch nicht zur Dekonstruktion biologischer Zweigeschlechtlichkeit funktionalisiert werden, auch wenn das ein ehrenwertes und wichtiges Anliegen ist.

3. Die Folgen medizinischen und juristischen Handelns und die Gewalt, die inter* Menschen angetan wurde/wird, sollte sichtbar werden, ebenso die Anliegen, Forderungen und Widerstandsbewegungen dagegen. Dabei ist große Sensibilität vonnöten; bloßstellende Nacktfotos oder ähnliche Viktimisierungen sind in jeder Hinsicht zu vermeiden. Der Fokus liegt nicht auf Pathologien und Syndromen, sondern auf Diskriminierung und Menschenrechten. Dabei sollten intergeschlechtliche Menschen als Expert*innen und Autoritäten zu Wort kommen (als Referent*innen, Autor*innen, Erzähler*innen, Filmemacher*innen, …), nicht bloß als „Betroffene“ oder gar „Freaks“.

4. Darüber hinaus sollten intergeschlechtliche Menschen als eigenständige Personen in den Vordergrund treten, als Individuen mit eigenen Wünschen, Bedürfnissen, Fähigkeiten etc., die nichts mit ihrer Intergeschlechtlichkeit zu tun haben.

An dieser Aufzählung wird deutlich, dass die Stimmen intergeschlechtlicher Menschen nötig sind. Sie sind nötig, da es ansonsten zu einem Sprechen über anstelle eines Sprechens mit kommen kann, wenn das Thema aus einer nicht-intergeschlechtlichen Perspektive aufgegriffen wird, und das kann verletzend und belehrend sein. Dies umso mehr, wenn intergeschlechtliche Personen anwesend sind, die sich vor potenzieller Diskriminierung schützen wollen und sich deswegen nicht outen. Intergeschlechtliche Stimmen können gut über Clips, Dokumentationen, Texte, Social Media etc. in Lehr- und Lernkontexte geholt werden.

Intersektionalität

Intergeschlechtliche Menschen und ihre Erfahrungen können sehr unterschiedlich sein; es gibt nicht die eine Inter* Erfahrung und die Repräsentation einer inter* Person kann zwar eine Tendenz abbilden, ist aber nicht stellvertretend für andere. Wie inter* Menschen ihre Intergeschlechtlichkeit (er)leben, ist genauso divers wie endo* Menschen ihre Endogeschlechtlichkeit (er)leben.

Die Unterschiede können individuell-persönlich oder auch gruppenbezogen sein, abhängig von anderen Dimensionen der Ungleichheit wie sexuelle Orientierung, Herkunft, Religion, Behinderung, Klasse und dergleichen mehr. Es ist wichtig, die Vieldimensionalität und Unterschiedlichkeit von Lebenssituationen und mehrdimensionale Formen der Diskriminierung wie Privilegierung wahrzunehmen. Eine Schwarze inter* Person wird sehr wahrscheinlich andere Erfahrungen machen als eine weiße, und eine lesbisch lebende intergeschlechtliche Frau in einer Großstadt andere Erfahrungen als eine als inter lebende intergeschlechtliche Person auf dem Land, die auf Männer steht.

Es sollten von daher immer mehrere Biografien von inter* Personen gezeigt und explizit die individuellen Unterschiede wie auch gruppenbezogenen Differenzen herausgearbeitet werden.

Rauszoomen: Geschlechternormen betreffen alle

Schlussendlich sollte der Fokus auf inter* Menschen wieder weggenommen und der gesellschaftliche Umgang mit Intergeschlechtlichkeit in einen größeren Kontext gestellt werden. Intergeschlechtlichkeit ist lediglich ein Aspekt geschlechtlicher Vielfalt.

So können in Lehr‐ und Lernkontexten beispielsweise geschlechtliche und sexuelle Normen thematisiert werden, die alle Menschen betreffen, ohne dabei Unterschiedlichkeiten auszublenden. Schönheitsideale, Männlichkeits- und Weiblichkeitsanforderungen und dergleichen bedeuten für alle Menschen Zwang zu einer stereotypen Geschlechtspräsentation und ein vorprogrammiertes sich Reiben und Scheitern an den rigiden Normen der Zweigeschlechterwelt – auch die Körper und Genitalien von Menschen, die nicht als intergeschlechtlich klassifiziert werden, sind sehr unterschiedlich. Von daher bedeutet die kritische Beschäftigung mit Intergeschlechtlichkeit sowie eine Entlastung von Männlichkeits- und Weiblichkeitsanforderungen auch eine Entlastung für endo* Menschen und macht ihre Leben entspannter und individuell lebenswerter. Wenn Einrichtungen geschlechterreflektiert denken und handeln – von der Toilettenarchitektur über die Programm- und Innengestaltung bis hin zum eingestellten Personal und der benutzten Sprache – profitieren alle Kinder und Jugendlichen davon. Schulen und Einrichtungen der Kinder‐ und Jugendhilfe sind dementsprechend als Orte der Vielfalt zu begreifen, die dort sichtbar wird und gelebt werden kann.

Geschlechtliche Vielfalt umfasst nicht nur Trans* oder Inter*, sondern auch, wenn es „nur“ um „Männer“ und „Frauen“ geht – diese sind auch Teil geschlechtlicher Vielfalt. Intergeschlechtlichkeit kann daher gesondert oder als eines von mehreren relevanten Themen in Lehr‐/Unterrichtseinheiten zu Geschlechterverhältnissen, Sexualpädagogik, Diskriminierung oder einem anderen Überthema integriert werden. Es geht dabei nicht nur um eine rationale, wissensbasierte Auseinandersetzung, sondern auch um eine Reflexion der eigenen Emotionen zum Thema, beispielsweise in Form von Solo-Reflexion und Kleingruppenarbeiten. Lerngruppen sollten diesbezüglich bestärkt werden, über das eigene geschlechtliche Dasein und dessen Gewordenheit nachzudenken. In diesem Zusammenhang kann thematisiert werden, dass Geschlecht pränatal bzw. bei Geburt zugewiesen wird, zugleich aber einer historischen Wandelbarkeit unterliegt.

Unterrichtsfächer

Biologie: Das Thema Intergeschlechtlichkeit sollte nicht nur im Biologieunterricht behandelt werden. Wenn, sollte deutlich werden, dass alle menschliche Körper sehr unterschiedlich sind und diese in einer zweigeschlechtlichen Logik nicht aufgehen.

Geschichte: Im Rahmen einer Hermstory, einer inter* Geschichtsschreibung, kann prominenten inter* Personen nachgespürt werden. Hierfür bietet sich u. a. Herculine Barbin an, für die*den es auch Unterrichtsmaterialien gibt.

Englisch: Hier könnten verschiedene Videos von Aktivist*innen aus den USA, etwa der TED Talk von Emily Quinn oder der Power Talk von Steph Lum angeschaut und diskutiert werden.

Französisch: Auch hier bieten sich u. a. die Memoiren der*s Herculine Barbin an.

Ethik/Politik: Hier können aktuelle Auseinandersetzungen wie beispielsweise Rechtsreformen diskutiert werden, es können aber auch inter* Bewegungen als soziale/politische Bewegungen und Kämpfe intergeschlechtlicher Menschen thematisiert werden.

Ein Video, was verschiedene Aspekte von Inter* beleuchtet und dadurch für verschiedene Unterrichtsfächern geeignet ist, findet sich auf der Seite von Planet Schule.

Weitere Anregungen zur Unterrichtsgestaltung finden sich u.a. in einem Beitrag von Ursula Rosen in der Broschüre “Schule lehrt/lernt Vielfalt“ (S. 172–174). Eine Sammlung von Stimmen intergeschlechtlicher Menschen findet sich im Text zu Stimmen – Vorbilder – Empowerment.

Mit Unterstützung von Andreas Hechler

Intergeschlechtliche Menschen sieht man bisher wenig im öffentlichen Raum. Auch in Serien, Büchern oder im Fernsehen sind sie wenig repräsentiert.

Wir wollen hier ein paar Stimmen von intergeschlechtlichen Menschen und ihren Angehörigen sammeln, die verschiedene Facetten ihres Lebens mit uns teilen.

Es gibt im Internet einige Videos, Beiträge oder Projekte zum Thema Intergeschlechtlichkeit. Hier haben wir ein paar davon gesammelt:

OII Europe (Organisation Intersex International, Europe) haben unter #MY INTERSEX STORY Geschichten von inter* Menschen aus ganz Europa versammelt. Auf der Projektseite finden sich Videos und Informationen zum Projekt. Im Buch erzählen inter* Menschen aus ganz Europa ihre Geschichten. (Webseite und Geschichten sind auf Englisch)

Das 2012 gegründete Interfaceproject porträtiert intergeschlechtliche Personen in ihren verschiedenen Lebensrealitäten. Die Personen stellen sich in kurzen Videos selbst vor und berichten aus ihren Leben, zu jedem Video gibt es außerdem ein Transkript.

Die Sendung Auf Klo vom öffentlich-rechtlichen Jugendsender funk hat in einer Folge Audrey aus der Schweiz zu Gast. Audrey berichtet unter anderem von den medizinischen Eingriffen, die sie als Kind und Jugendliche erlebt hat:

(Die Videos sind auf Deutsch, Französisch oder Englisch. Meist auch mit deutschen Untertiteln.)

Weitere Videos von Audrey finden Sie auf ihrem Youtube Kanal (Audr XY). (Die Videos sind auf Deutsch, Französisch oder Englisch, meist auch mit deutschen Untertiteln)

Auf der medienpädagogischen Seite Planet Schule finden Sie ein Video, in dem Lynn aus Berlin berichtet, wie es ist, intergeschlechtlich zu sein.

Der YouTube Kanal von OII Europe präsentiert ein Video mit dem Titel „My intersex Story“:

(Englisch mit deutschen Untertiteln.)

Vom WDR gibt es außerdem einen Beitrag, in dem eine Mutter zu ihren Erfahrungen mit der Intergeschlechtlichkeit ihres Kindes interviewt wird. Auch in der EMMA findet sich ein Text einer Mutter. Hier erzählt J.M. Pulvermüller wie es ist ein intergeschlechtliches Kind zu haben.

Ted Talk von Emily Quinn – Wie wir über das biologische Geschlecht denken ist falsch. (Englisch mit deutschen Untertiteln.)
Emily Quinn ist Autorin, Grafikerin und Aktivistin bei InterAct.

Die Bücher Inter*Trans*Express und Identitätskrise 2.0 sind eine Sammlung von Kurzgeschichten, Gedichten und Zeichnungen von Alltag und Widerstand als „Genderoutlaw“. Beide Bücher beschreiben persönliche Erfahrungen und machen damit Inter* Perspektiven sichtbar. Hier finden Sie exklusiv Auszüge aus beiden Büchern.

Weiteres Material von intergeschlechtlichen Menschen:

Bücher und Webseiten

Sammelband mit kurzen, persönlichen Geschichten von intergeschlechtlichen Menschen aus der ganzen Welt.

  • Inter – Erfahrungen intergeschlechtlicher Menschen in der Welt der zwei Geschlechter. Von Elisa Barth u.a. (2017/2013): Berlin: NoNo Verlag / Münster: edition assemblage.

Kurzgeschichten, Gedichte und Zeichnungen einer intergeschlechtlichen Person:

  • Identitätskrise 2.0 oder eine Analyse meiner linken DNA. Von Ika Elvau (2019). Münster: edition assemblage.
  • Inter*Trans*Express* – eine Reise an und über Geschlechtergrenzen. Von Ika Elvau (2014): Münster: edition assemblage.

Portale und Webseiten auf denen inter* Personen von sich erzählen:

Webseiten und Broschüren wo man sich weiter zu Inter* informieren kann:

  • Regenbogenportal – Das Wissensnetz zu gleichgeschlechtlichen Lebensweisen und geschlechtlicher Vielfalt. Viele lesenswerte Texte, auch zum Thema Intergeschlechtlichkeit des BMFSFJ.
  • Inter* und Sprache. Eine Broschüre des Antidiskriminierungsprojekts von TransInterQueer.
  • Wenn Sie das Thema Akzeptanz und Vielfalt weiter fördern möchten, finden Sie in der Broschüre Akzeptanz für Vielfalt viele Anregungen für Kinderbücher.

Videoclips

Empfohlene Filme/Dokumentation:

Comics und Graphic Novels

Hinter dem englischen Begriff Allyship verbergen sich die Konzepte von Verbundenheit, Solidarität und Unterstützung. Ein Ally ist also eine unterstützende Person, ein*e Verbündete*r, der*die sich – in diesem Fall – mit inter* Menschen für inter* Menschen und ihre Anliegen einsetzt, ohne selbst intergeschlechtlich zu sein.

Hier möchten wir Ihnen einige Möglichkeiten aufzeigen, der Diskriminierung von intergeschlechtlichen Menschen entgegenzuwirken und selbst Verbündete*r von inter* Menschen zu werden. Außerdem erklären wir, was es beim Thema Allyship zu beachten gibt.

Dies vorweg: Es gibt unterschiedliche Vorstellungen davon, was es bedeutet, ein Ally zu sein. Während zunächst jegliches Engagement für diskriminierte Gruppen sehr löblich und wertvoll ist, kommt es bei eine*r/m Verbündeten auf seine*ihre Ernsthaftigkeit, Taten und Ausdauer an. Als Ally sollte man sich nicht nur bezeichnen, sondern sich vor allem auch entsprechend einsetzen und verhalten.

Der Diskriminierung entgegenwirken – Jede*r kann helfen

Die Idee der Zweigeschlechtlichkeit ist in vielen Gesellschaften tief verankert und wird durch soziale Praxen aufrechterhalten. Die Praxis, intergeschlechtliche Kinder früh operieren zu lassen und ihr Geschlecht einer vorgegebenen Norm „anzugleichen“, entspringt schwerwiegender Weise der Überzeugung, dass es nur zwei Geschlechter gäbe und alle anderen Auffassungen von Geschlecht davon abweichen und nicht von der Gesellschaft akzeptiert würden. Aus der Sorge heraus, dass das Kind im Laufe seines Lebens Diskriminierung erfahren und sich als „fehlerhaft“ empfinden würde, wurden unzählige Operationen ohne Einwilligung der inter* Menschen durchgeführt, anstatt an anderer Stelle gegen Diskriminierung vorzugehen. Um dies zu ändern, bedarf es (u. a.) gesellschaftlicher Aufklärung. Hier sind ein paar Hinweise, wie Solidarität und Unterstützung aussehen kann:

  • Darüber sprechen. Je mehr Intergeschlechtlichkeit thematisiert und Bestandteil gesellschaftlichen Wissens wird, desto weniger sind inter* Menschen unsichtbar und werden stigmatisiert. Sprechen Sie innerhalb Ihres privaten und beruflichen Umfeldes darüber, lassen Sie falsche oder diskriminierende Aussagen nicht einfach stehen.
  • Berücksichtigen Sie geschlechtliche Vielfalt in Ihrer Sprache und anderen alltäglichen Bereichen. Beispielsweise können Sie sich bemühen, geschlechtsneutral zu sprechen. Zu beachten ist, dass die Geschlechtsidentität von inter* Menschen – ebenso wie von endogeschlechtlichen Menschen – sowohl binär als auch nicht-binär sein kann. Grundsätzlich ist es ratsam, das Geschlecht/die Geschlechtszugehörigkeit einer Person nicht anhand ihres Aussehens zu vermuten. So ist es sehr aufmerksam, von und mit Menschen anhand ihres Namens zu sprechen und somit geschlechtszuweisende Personalpronomen (er/sie, sein/ihr, ihr/ihm, etc.) zu vermeiden, solange die betreffende Person Ihnen diese nicht mitgeteilt hat.

Ebenso können Sie mit werdenden Eltern in Ihrem Umfeld über Intergeschlechtlichkeit sprechen und generell vermeiden, werdende/frische Eltern nach dem Geschlecht ihres Kindes zu fragen. Ob es dem Kind gut geht, welchen Namen es trägt usw., ist doch eigentlich wichtiger.

  • Unterstützen Sie Aktivist*innen und/oder Organisationen. Es gibt bereits Organisationen mit viel Expertise, guter Vernetzung und Einbezug von intergeschlechtlichen Menschen, sodass Sie das Rad gar nicht neu erfinden müssen (z.B. www.oiigermany.org, www.ilga-europe.org, www.im-ev.de, www.dritte-option.de.).
  • Bei der aufrichtigen Unterstützung benachteiligter Gruppen sollte es nicht um einen selbst gehen, sondern um die Diskriminierten. Auch wenn Sie Ihre Anteilnahme und Betroffenheit natürlich zum Ausdruck bringen dürfen, sollten Sie sich und andere daran erinnern, dass Sie das Privileg haben in die gesellschaftliche Norm zu passen und dadurch einige Vorteile haben. Teilen Sie Ihre Vorteile mit inter* Personen, indem Sie sich an ihrer Seite für sie einsetzen.
  • Vereinnahmen Sie Inter* nicht, um beispielsweise auf die Konstruktion von Geschlecht aufmerksam zu machen. Die Bedarfe von intergeschlechtlichen Menschen sollten im Vordergrund stehen.
  • Nehmen Sie das Thema Inter* und Perspektiven von inter* Menschen in Ihre Arbeit auf.

Webseiten und Information zum Weiterlesen: